Impfstoffbooster aus dem Meer

In der Hautcreme, im Bier und im Türlack: Siliziumdioxid steckt in vielen Produkten. Ein Prototypenprojekt um Christian Becker von der Fakultät für Chemie der Uni Wien mit der MedUni Wien nimmt die Biochemie der Kieselalge zum Vorbild, um aus Silica-Partikeln neue Impfstoffverstärker zu gewinnen.

Bier, Hautcreme und SIM-Karten können nicht ohne: Widerstandsfähig und ungiftig, wird Siliziumdioxid zur Herstellung von Lebensmitteln, Kosmetika und elektronischen Speichermedien genutzt. Die dafür genutzten Erzeugungsbedingungen sind sehr herausfordernd: Erst mit Temperaturen von über 1.000 Grad oder dem Einsatz harscher Chemie, wie starken Säuren, lässt sich der Stoff gewinnen. Proteinchemiker Christian Becker und sein Team von der Fakultät für Chemie der Universität Wien nutzen nun ein Vorbild aus der Natur, um diese Bedingungen zu umgehen, denn mitten im Meer bildet die mikroskopisch kleine Kieselalge Strukturen aus Siliziumdioxid. Und das ganz ohne hohe Temperaturen oder drastische chemische Hilfsmittel.

"Von der Kieselalge haben wir viele biochemische Informationen nutzen können, um Siliziumdioxid unter milden physiologischen Bedingungen im Labor herstellen zu können", erzählt Biochemiker Becker vom Grundgedanken seines aktuellen Prototypenprojekts. Tatsächlich nutzen die WissenschafterInnen Proteinteile aus der Kieselalge, mit denen Silica-Partikel auch synthetisch unter sehr milden Bedingungen hergestellt werden können.

Schadstofffreie Verstärker

Der eigentliche Clou liegt jedoch nicht nur in der vereinfachten Herstellung, sondern in den potenziellen Anwendungsmöglichkeiten dieser Proteinteile und der daraus generierten Silicapartikel. Das Projekt SILAVAX, das in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien stattfindet, nutzt die Proteinteile der Kieselalge in Kombination mit den Silicapartikeln, um Adjuvantien (Impfstoffverstärker) zu entwickeln, die Impfstoffe schadstofffrei im Körper besser wirken lassen sollen.

Die Prototypenförderung "PRIZE" des Austria Wirtschaftsservice ermöglicht Becker und seinem Team, aus den Proteinen der marinen Kieselalge potenzielle Impfstoffverstärker zu kreieren und zu testen. Die Förderung ist Teil des Programms "Wissenstransferzentren und IPR-Verwertung" und legt einen Schwerpunkt auf den Know-how Austausch von Universitäten und Forschungseinrichtungen. (© Christian Becker)

Schadstofffreiheit ist für Becker ein essentieller Punkt: "Gängige stimulierende Adjuvantien basieren meist auf Aluminiumsalzen – ein Stoff, der immer wieder kontrovers diskutiert wird." Der Vorteil des Silica ist die erwiesene zelluläre Verträglichkeit: Der vielseitige Einsatz in Lebensmitteln und Medikamenten hat dies umfangreich bestätigt.

Synthetische Impfstoff-Kügelchen

In einem ersten Schritt bauen die WissenschafterInnen die Proteinteile der Kieselalge synthetisch nach. An diese kleinen Eiweißketten, die Peptide, werden jene Allergene gehängt, die eine Immunantwort provozieren sollen. Durch das Hinzufügen von Kieselsäure fängt das Peptid aus den Kieselalgen an, Silica-Partikel herzustellen und schließt das Allergen in einem Kügelchen ein. "Die Herstellung passiert in wässriger Lösung und ist nahezu biomimetisch – also analog zu dem, was in der Kieselalge stattfindet", erklärt Becker.

Das Silica-Kügelchen wirkt in diesem Fall als Verpackung, die das Allergen schützt, es im Körper ablädt und eventuell die Immunantwort verstärkt. Ohne Schaden anzurichten, verlässt es den Körper. Soweit die Theorie, die auf den bisherigen Forschungsergebnissen und Experimenten des ForscherInnen-Teams basiert. "Die Chancen, dass Silica-Partikel die Wirkung des Impfstoffs ohne negative Nebenwirkungen verstärken, ist sehr groß", zeigt sich Becker optimistisch.

Immunologische Unterstützung

Um die immunologische Wirkungsweise des neuentwickelten Adjuvans an Organismen bzw. in vivo zu testen, arbeiten Becker und sein Team eng mit der Medizinischen Universität Wien zusammen. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, testet die im Labor hergestellten Impfstoffträger in präklinischen Modellen.

"Der Prototyp muss beweisen, dass er so wirkt, wie es die Theorie vorhersagt", so Becker. "Wenn es im tierischen Organismus eine Immunantwort gibt, die so stark oder stärker ist als bei anderen derzeit genutzten Verbindungen, ist unser Ziel erreicht." Funktioniert der Prototyp nach Plan, könnten daraus neue Impfstrategien für eine Vielzahl von Krankheiten entstehen, bei denen das Immunsystem stimuliert werden muss.

Fortschritt durch Förderung

Bereits jetzt steht fest, dass die von Becker und seinem Team entwickelten Adjuvantien aus Silica unter sicheren und milden Bedingungen herstellbar sind und mit diversen Biomolekülen beladen werden können. Im nächsten Schritt soll die sichere Anwendung bestätigt werden. Ein Experiment, das für Becker ohne die Prototypen-Förderung nicht möglich gewesen wäre.

"Die Förderung stellt sicher, dass Entwicklungen vorangetrieben werden und dass wir die Ressourcen haben, theoretische Forschung in der Praxis zu testen", freut sich Becker: "Das ermöglicht uns, den nächsten Schritt zu gehen und am Ende etwas in der Hand zu haben, das sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie und die Gesellschaft von Bedeutung ist." (pp)

Das Projekt "SILAVAX: Silaffin Silica Partikel als Impfstoff-Adjuvantien" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Christian Becker vom Institut für Biologische Chemie der Fakultät für Chemie der Universität Wien und unter Mitarbeit von Dr. Meder Kamalov findet in Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt und Dr. Joshua Tobias vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien statt und wird durch die Prototypenförderung PRIZE des Austria Wirtschaftsservice unterstützt.