Geschichte der Zensur:
Österreich und seine verbotenen Bücher

Zwischen 1750 und 1848 standen in Österreich rund 50.000 literarische Texte auf sogenannten Verbotslisten. 25.000 Titel wurden davon bereits in einem 2002 abgeschlossenen Projekt erfasst. Mit dem FWF-Projekt "Österreichische Listen verbotener Bücher von 1750-1848" führt Projektleiter Norbert Bachleitner vom Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft diese Arbeit fort. Neben der Aufarbeitung und Übertragung in eine Datenbank ergänzen qualitative und quantitative Untersuchungen das Ende 2010 gestartete Nachfolgeprojekt.

Bevor ein im Ausland gedrucktes Buch in der österreichischen Monarchie erscheinen durfte, wurde es ab 1751 durch eine eigens eingerichtete Zensurkommission gründlich untersucht. Ab den 1790er Jahren übernahm die Wiener Polizeihofstelle diese Aufgabe. Die Zensoren erstellten nach Lektüre der Texte ein Gutachten mit unterschiedlichen Zensurgraden: Der Befund "admittitur" stand dabei beispielsweise für unbeschränkt zugelassene Schriften, während "damnatur" solche Werke bezeichnete, deren Lektüre nur zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubt war.

Die "geheimen" Listen

Die bibliographischen Angaben der verbotenen Bücher wurden in alphabetischer Reihenfolge niedergeschrieben und zuerst monatlich, dann vierzehntägig an die Landesbehörden, Bibliotheken und Buchhändlervereinigungen verteilt. Die meist handschriftlichen Listen werden heute u.a. in der Universitätsbibliothek Wien, der Österreichischen Nationalbibliothek sowie dem Österreichischen Staatsarchiv aufbewahrt.

Das Ziel des aktuellen FWF-Projekts besteht darin, die rund 50.000 Titel auf den "Österreichische(n) Listen verbotener Bücher von 1750-1848" zu überprüfen, zu sichern und in einer virtuellen Datenbank zugänglich zu machen. 25.000 Titel konnten im Vorgängerprojekt bereits erarbeitet werden.

Neben Büchern kommen auch Zeitschriften, Pamphlete und Flugblätter auf den Listen vor. Im Mittelpunkt des Interesses von Norbert Bachleitner und Projektmitarbeiter Daniel Syrovy steht jedoch die sogenannte "schöne Literatur". "Bestimmte Bücher wurden als mögliche Unruheherde angesehen. Die Listen verdeutlichen, welche Themen wann als brisant galten. So eröffnet die Untersuchung der Verbote nicht nur neue Zugänge zur Literaturgeschichte, sondern auch zur Kultur-, Sozial- und Wissenschaftsgeschichte", erklärt der Projektleiter.

Religion, Moral, Politik

Im Rahmen des Forschungsvorhabens werden auch exemplarisch Bücher auf ihren Inhalt und möglichen Verbotsgrund hin untersucht. "Der Titel allein sagt meist wenig über den Inhalt aus. Oft sollten die Zensoren auch bewusst in die Irre geführt werden, etwa durch philosophische Titel bei eigentlich pornographischen Büchern", erläutert Norbert Bachleitner und bedauert: "Besonders interessant wären hier natürlich die Gutachten, aber diese sind, wenn überhaupt, nur noch fragmentarisch vorhanden. Vieles wurde 1927 beim Brand des Wiener Justizpalasts vernichtet."

Welche Inhalte zwischen 1750 und 1848 unerwünscht waren, erläutert Projektmitarbeiter Daniel Syrovy: "Neben Kritik an der Obrigkeit und an der Religion waren es vor allem Verstöße gegen die Moral, wie beispielsweise Pornographie. Da die Bücher bereits gedruckt waren, konnte man nicht einfach einzelne Stellen herausreißen, sondern musste gleich das ganze Buch verbieten. Inwieweit diese Listen die Menschen tatsächlich am Lesen gehindert haben, ist fraglich. Verbote erreichen ja oftmals genau das Gegenteil. Aus diesem Grund wurden die Listen auch nicht publiziert."

Innerhalb der Monarchie


Doch nicht die österreichische Zensurgeschichte allein liegt im Interesse der Datenbankerstellung, auch ein Vergleich innerhalb der Monarchie soll so vereinfacht werden: Denn in der Praxis wurde nicht überall einheitlich zensiert. Norbert Bachleitner: "In Ungarn beispielsweise durften streckenweise durchaus brisante Texte veröffentlicht werden. Dies führte natürlich zu diplomatischen Schwierigkeiten."

Auch quantitative Daten werden die Wissenschafter anhand der Verbotslisten erfassen. So sollen beispielsweise neben der Häufigkeit bestimmter Publikationstypen auch die Zahl der verbotenen Bücher in den einzelnen Fremdsprachen sowie in Übersetzung, die Anteile der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen sowie die Rolle einzelner Verlage herausgestellt werden.

Die Ergebnisse dienen nicht nur einem besseren Verständnis der österreichischen Buch- und LeserInnengeschichte, sondern können auch dazu beitragen, das Entstehen von heutigen, länderspezifischen Zensurmaßnahmen nachzuvollziehen. (mw)

Das FWF-Projekt "Österreichische Listen verbotener Bücher von 1750-1848" läuft von 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012 unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. tit. Univ.-Prof. Dr. Norbert Bachleitner vom Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft. Projektmitarbeiter ist Mag. Daniel Syrovy, ebenfalls von der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft. Das Projekt schließt an das Vorgängerprojekt "Die österreichische Verbotsliste und ihre Bedeutung für die Zensurgeschichtsforschung. Eine qualitative und quantitative Untersuchung zu der in Österreich zwischen 1795 und 1848 verbotenen Literatur" an, das vom 1. März 1999 bis zum 28. Februar 2002 lief.