Erster Weltkrieg: Beginn, Wendepunkte und Resultate

Von 1914 bis 1918 forderte der Erste Weltkrieg rund 17 Millionen Menschenleben. Wie es zu der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts kam und welche Auswirkungen diese für den weiteren Verlauf des Jahrhunderts hatte, hat Historiker Karl Vocelka von der Universität Wien zusammengefasst.

Vor genau 100 Jahren, am Beginn des Jahres 1914, schien die Welt noch in Ordnung. Aber fast unbemerkt hatte sich die Gesellschaft in Europa verändert, eine zunehmende Militarisierung im Alltag und eine Fülle von schwelenden Konflikten belasteten die Lage. Die traditionellen Großmächte bestimmten die Politik des Kontinents: Großbritannien, Frankreich, das Deutsche Kaiserreich, Russland und die Habsburger-Monarchie. Sie alle konkurrierten miteinander, es ging um Grenzen in Europa, wie zwischen Frankreich und dem Deutschen Kaiserreich um Elsass-Lothringen oder um Einflusssphären wie am Balkan zwischen Russland und Österreich-Ungarn. Deutschland wollte seine Macht vergrößern und im Kolonialismus einen "Platz an der Sonne" erwerben, Großbritannien verstärkte aus Angst vor der deutschen Flottenpolitik seine Kriegsmarine, Russland wollte die Meerengen (Bosporus und Dardanellen) beherrschen und Istanbul / Konstantinopel zu einer russischen Stadt machen. Eine gewaltsame Lösung dieser Konflikte schien unvermeidlich.


Karl Vocelka studierte, promovierte (1971) und habilitierte sich (1978) im Fach Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Von 2000 bis 2004 und von 2008 bis 2012 war er Vorstand des Instituts für Geschichte. Er ist wissenschaftlicher Ausstellungsleiter mehrerer Landesausstellungen und Kurator der geplanten Ausstellung zum 100. Todestag Franz Josephs 2016 in Schönbrunn, im Hofmobiliendepot und Schloss Niederweiden. Eine Biographie zu Franz Joseph ist für 2015 in Planung.



Kriegsausbruch Juli 1914

Mit dem Kriegsausbruch im Juli 1914 – ausgelöst durch das Attentat auf Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo – begann die bis heute andauernde Diskussion um die Schuld am Ausbruch des Krieges. Lange herrschten nationale Gesichtspunkte vor, man gab dem jeweils "anderen" die Schuld, doch spätestens seit der – vom Buch von Fritz Fischer "Griff nach der Weltmacht" – ausgehenden Kontroverse der frühen 1960er Jahre, wurde die Schuld der Mittelmächte und besonders Deutschlands betont. Die jetzt neu entflammte Debatte sieht das differenzierter. Christopher Clark meint in seinem Buch "Die Schlafwandler": "die Deutschen tragen Schuld am Ersten Weltkrieg – aber nicht mehr als andere" und kommt zum Schluss, dass die Serben die "Schurken im Drama" des Großen Krieges waren. Der österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner hingegen betont in seinem Buch "Der Tod des Doppeladlers" die Rolle Franz Josephs beim Kriegsausbruch und der Amerikaner Sean McMeekin sieht in seinem Werk  "The Russian Origins of the First World War" Russland mit seiner Generalmobilmachung als treibende Kraft am Beginn des Weltkrieges.

Der Krieg von 1914-1918 war keineswegs der erste weltweit geführte Krieg – das neue war die besonders grausame technisch hochgerüstete Kriegführung mit Bomben, Granaten und Giftgas und die lange Dauer des Krieges, die sich letztlich zugunsten der Entente-Mächte (Großbritannien, Frankreich, Russland, später USA) auswirkte, da die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn) von ihnen eingeschlossen waren. Je länger der Krieg dauerte, desto größer waren die Engpässe bei den Rohstoffen.

"Wunder an der Marne"


Zwei entscheidende Punkte bestimmten den Ausgang des Krieges. Auf Grund des so genannten Schliefen-Plans griff das Deutsche Kaiserreich unter Verletzung der Neutralität Belgiens Frankreich an seiner ungeschützten Flanke an. Die Absicht war ein Vormarsch nach Paris und eine schnelle Beendigung des Krieges im Westen. Durch das "Wunder an der Marne" – in der deutschen Angriffsfront entstand eine Lücke, die zum Rückzug zwang – scheiterte diese Idee und es kam zum gefürchteten Stellungskrieg, der viele Kräfte band, die man eigentlich an der russischen Front einsetzen wollte. Viele behaupten, dass der Krieg damit schon verloren war. Die zweite entscheidende Wende war das Jahr 1917, als im April die USA Deutschland den Krieg erklärte und im Oktober (eigentlich November nach unserem Kalender) der vom deutschen Generalstab nach Russland gebrachte Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, in der Oktoberrevolution die Macht ergriff und ein völlig neues Regierungssystem begründete. Der Ursprung des Kalten Krieges mit den beiden Super-Mächten kann darin gesehen werden.


Im April 1917 erklärt die USA Deutschland den Krieg. Das Bild zeigt US-Amerikanische Soldaten an der Gefechtslinie.


Das Ende des Reiches

Speziell für die Habsburgermonarchie wirkte der Krieg beschleunigend auf die zentrifugalen Entwicklungen, die sozialen und vor allem die nationalen Probleme stiegen und bereiteten das Ende des Reiches und seinen Zerfall in so genannte Nationalstaaten vor. Der Zerfall Österreich-Ungarns, das Ende der Monarchien in Russland, Deutschland und dem Osmanischen Reich und die Friedensverträge von 1919 lösten die Probleme der Zeit nicht, sondern führten zu neuen Spannungen. Manche HistorikerInnen sprechen vom Dreißigjährigen Krieg, der erst 1945 endete. Das oft gehörte Wort der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts (engl.: "the great seminal catastrophe of this century"), das der amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan geprägt hat, stellt gerade für Mitteleuropa eine gute Erklärungsthese für eine langfristige Geschichtsbetrachtung dar. Die Umwandlung Russlands in die Sowjetunion mit ihren gesellschaftspolitischen Folgen, der Faschismus in Italien und Deutschland und der Zweite Weltkrieg sind vom Ersten Weltkrieg und seinen Ausgang nicht zu trennen.

Gastbeitrag von Karl Vocelka