Eine Weltkarte der Folter

Schläge, Elektroschocks, Schlaf- oder Nahrungsentzug, simuliertes Ertränken – Folter hat viele Gesichter. Doch eines haben die verschiedenen Foltermethoden gemeinsam: Dem Opfer wird schweres Leid zugefügt, um ein fragwürdiges Geständnis zu erzwingen. Kaum jemand kennt die Problematik dieses Phänomens besser als der Rechtswissenschafter Manfred Nowak, der in seinem laufenden EU-Projekt "Atlas of Torture" ein aktuelles Bild der – dramatischen – internationalen Menschenrechtslage zeichnet.

"Ich habe mir die Situation in Bezug auf Folter und Haftbedingungen auf der Welt mit eigenen Augen angeschaut und dabei sehr ernüchternde Schlussfolgerungen gezogen: In mehr als 90 Prozent der Länder wird gefoltert", stellt Manfred Nowak klar. Er weiß, wovon er spricht: Der Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Leiter der Forschungsplattform "Human Rights in the European Context" und ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter (2004 bis 2010) widmet sich bereits seit 1973 der Erforschung und Bekämpfung des Phänomens.

In zahlreichen "Fact-Finding"-Missionen hat der Mitbegründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte die Gefängnisse und Verhörstuben dieser Welt unangekündigt besucht und Beweise für physische und psychische Misshandlungen gesammelt.

Fortsetzung der UN-Arbeit

Das Wissen und die Erfahrungen, die der Rechtswissenschafter zusammengetragen hat, sollen nun an der Forschungsplattform im Rahmen des EU-Projekts "Atlas of Torture", das im Oktober 2010 startete, zentral gebündelt werden. "Die Idee zum Projekt geht auf eine gleichnamige Website zurück, die während meines UN-Mandats vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte eingerichtet worden ist und kontinuierlich mit neuen Untersuchungs- und Erfahrungsberichten gefüllt wird", so Nowak: "Die Website gibt einen Überblick über die weltweite Situation von Folter und anderen Formen der Misshandlung und dient in unserem aktuellen Forschungsvorhaben als zentrales Informations-Tool."

Zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützen

Ziel ist es, nationale Organisationen in ihrem Kampf gegen Folter sowie bei der Entwicklung und Umsetzung von effektiven Präventions- und Kontrollstrategien zu unterstützen. "Es geht mir aber auch darum, meinen Empfehlungen eine gewisse Nachhaltigkeit zu verleihen."

Letzteres soll im Rahmen des Projekts u.a. durch konkrete Verhandlungen mit einigen ausgewählten Ländern – Grundvoraussetzungen der Zusammenarbeit waren das Vorhandensein einer aktiven Zivilgesellschaft sowie einer kooperationsbereiten Regierung – erreicht werden. "Phase eins in Paraguay und Georgien ist bereits angelaufen. Mögliche Kandidaten für Phase zwei sind Nepal, Togo, Moldawien, Uruguay oder Kasachstan", so Nowak.

Von Äquatorialguinea bis Guantánamo

Die genannten Staaten sind aber bei weitem nicht die einzigen Länder, in denen Folter ein Problem darstellt. Laut "Atlas of Torture" hat nur Dänemark in dieser Hinsicht eine relativ weiße Weste aufzuweisen: "Dem gegenüber stehen Negativbeispiele wie etwa Äquatorialguinea, wo eine der härtesten Diktaturen der Welt herrscht und systematische Folter an der Tagesordnung steht, oder das US-Gefangenenlager in Guantánamo, wo Fälle schwerer Misshandlungen und Erniedrigungen von Häftlingen dokumentiert sind", so Nowak.

In Österreich sieht die diesbezügliche Situation zwar vergleichsweise harmlos aus. Aber auch hier ortet der Rechtswissenschafter Handlungsbedarf: "Das österreichische Recht hat keinen Folterparagraphen mit adäquaten Strafsanktionen. Außerdem gibt es keine unabhängige Instanz zur schnellen und wirksamen Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei. Die UN-Anti-Folter-Konvention ist in den 1980er Jahren zwar ratifiziert, aber bis heute nicht effektiv umgesetzt worden."

Warum Folter?

Dem Menschenrechtsexperten zufolge liegt der Hauptgrund für Folter im Versagen der jeweiligen Strafjustiz: "In der Mehrheit der Fälle geht es darum, ein Geständnis zu erzwingen, das dann vor Gericht für eine Verurteilung verwendet wird. Vor allem in Diktaturen ist zu beobachten, dass Foltermethoden gegen Regimekritiker eingesetzt werden", erklärt er.

Neben der dramatischen Menschenrechtslage, die laut Nowak auch mit dem sogenannten "War on Terror" und seinen politischen Folgen zusammenhängt, stehen aber auch die katastrophalen Haftbedingungen in vielen Gefängnissen der Welt auf der Agenda des "Atlas of Torture"-Projekts, das auch zur Besserung dieser "weltweiten Krise der Haft" einen Beitrag leisten will. (ms)

Das dreijährige EU-Projekt "Atlas of Torture: Monitoring and Preventing Torture Worldwide – Building Upon the Work of the UN Special Rapporteur on Torture" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak, LL.M. vom Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung ist an der Forschungsplattform Human Rights in the European Context angesiedelt und startete im Oktober 2010.

Die Forschungsplattform wurde im Februar 2008 als Zusammenschluss von WissenschafterInnen von zwölf Instituten aus sechs Fakultäten der Universität Wien gegründet, um die interdisziplinäre Lehre und Forschung zum Thema Menschenrechte in Europa voranzutreiben. Koordinations- und Kommunikationszentrum der Plattform ist das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte.