Die Physik der Marktforschung

Mit einer neuen Methode, die auf einer Gleichung des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann basiert, analysieren internationale MathematikerInnen rund um Peter Markowich und Marie-Therese Wolfram von der Universität Wien die Entwicklung von Preisen.

"Das Schöne an der Mathematik ist die Kraft der Abstraktion. Wir sehen immer wieder, dass man sehr ähnliche mathematische Methoden für ganz verschiedene angewandte Probleme verwenden kann", so der österreichische Mathematiker Peter Markowich, Professor an der Universität Wien und der Universität Cambridge, der zurzeit auch an der King Abdullah University of Science and Technology in Saudiarabien forscht.

Wie man zum Beispiel einen Ansatz aus der Physik für die Marktforschung einsetzen kann, zeigen Markowich und eine hochkarätige Forschungsgruppe – bestehend aus der jungen Spitzenmathematikerin Marie-Therese Wolfram von der Universität Wien, dem Wolf-Preisträger 2012 Luis Caffarelli (Universität Texas) und dem oberösterreichischen Mathematiker Martin Burger (Universität Münster) – in einer aktuellen Publikation im Journal  "Proceedings of the Royal Society A".

Kollisionen folgen Regeln

Ziel der präsentierten Methode ist es, der makroökonomischen Preisentwicklung durch systematische Betrachtung vieler mikroökonomischer Handlungen auf den Grund zu gehen. Basis des neuen Ansatzes ist eine Gleichung des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann, der ursprünglich zur mathematischen Beschreibung des Strömungsverhaltens von verdünnten Gasen entwickelt wurde.

"Boltzmanns Grundidee war es, zuerst die einzelnen Kollisionen der Gasatome bzw. Gasmoleküle zu beschreiben, um dann, über eine Art großer Mittelung, ein Bild für die Gesamtströmung zu erhalten", erklärt Markowich. Diese Kollisionen folgen bestimmten mathematisch beschreibbaren Regeln: Die Gesamtmasse, der Gesamtimpuls und die Gesamtenergie müssen erhalten bleiben. Aus diesen drei Prinzipien "leitet man dann mit ein wenig Geometrie das sogenannte 'Individuelle Kollisionsgesetz' her", das die Basis für die Boltzmann-Gleichung ist, wie Markowich erklärt.

Ein Handelsereignis wie eine Gaskollision


Der neue Ansatz folgt der gleichen Logik: "Jedes einzelne Handelsereignis hat irgendwo den Charakter einer Boltzmann-Gaskollision", so der Mathematiker. Die "Kollisionseigenschaften" seien aber andere, da der Verkäufer darauf achtet, dass er nicht zu billig verkauft, und der Käufer nicht zu viel zahlen will. Analog zu den Gasmolekülen gehe es trotzdem immer darum, zu beschreiben, wie zwei Händler miteinander interagieren.

"Diesen ökonomischen Prozess muss man formalisieren, so wie Boltzmann das anhand der Erhaltung der Masse, der Energie und des Impulses getan hat. Wir kommen also von ganz anderen, physikalischen Problemen her, wenden aber die gleiche mathematische Grundidee, mit angepasster Modellierung, an."

Neue Modellklasse zur Vorhersage

Auf diesem Weg habe man "eine neue Modellklasse erschlossen, die in der Zukunft hoffentlich einen neuen Zugang zur Vorhersage von Preisen von gewissen Gütern liefern wird". Es bedürfe aber noch weiterer wissenschaftlicher Arbeit – "unser Modell ist noch sehr 'basic', aber das ist eine Sache, die wir versuchen, auszureizen", wie es der Mathematiker ausdrückt. Nun gehe es darum, das Modell jeweils auf die Erforschung konkreter Märkte, wie den Energiemarkt, anzupassen.

"Besonders die Modellierung dieser Finanztransaktionen, aber auch die Analyse und Simulation der neuen Modelle, sind spannende und anspruchsvolle mathematische Fragen, die wir in naher Zukunft gemeinsam untersuchen wollen. Die Anwendung dieser klassischen Ansätze aus der Physik in den Sozial- als auch Finanzwissenschaften hat großes Potenzial", ergänzt Marie-Therese Wolfram.

Hochkarätige Forschungsgruppe

Dem Team, das den neuen Ansatz entwickelt hat, traut Wittgensteinpreisträger 2000 Peter Markowich jedenfalls einiges zu. Vor allem den Anteil von Marie-Therese Wolfram an der Arbeit hebt er hervor. Sie sei zu Recht in das neue hochdotierte JungforscherInnen-Förderprogramm "New Frontiers Groups" der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aufgenommen worden, im Rahmen dessen sie am "Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics" (RICAM) in Linz forschen wird. "Marie-Therese Wolfram ist eine der österreichischen Mathematikerinnen, die wir unbedingt in Österreich halten sollten, weil viele von ihrem Format haben wir nicht", so Markowich. (APA/red)

Das Paper "On a Boltzmann-type price formation model" (AutorInnen: Martin Burger, Luis Caffarelli, Peter A. Markowich und Marie-Therese Wolfram) erschien im Juli 2013 im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society A".