Der Wald im Mittelalter

Zwei große gesellschaftliche Umbrüche prägen im Wesentlichen die Zeit des Mittelalters: Zum einen bildet sich das System der Feudalwirtschaft heraus und zum anderen entstehen marktwirtschaftliche Strukturen – beides einhergehend mit einem generellen Bevölkerungswachstum. Die frühesten schriftlichen Zeugnisse zur Beziehung der Menschen zum Wald stammen aus dieser Epoche – einer Zeit, in der der Wald zusehends "zivilisiert" wurde.

Heute findet sich in Österreich kein Quadratmeter Wald, der nicht auf die eine oder andere Art vom Menschen beeinflusst wäre. Die massive Nutzung von Waldflächen beginnt etwa ab dem 11. Jahrhundert. Waren es davor rund 20 Prozent, so griffen die Menschen im Laufe des Mittelalters in ca. 80 Prozent von Österreichs Wäldern verändernd ein. "Außer Wasser stellte der Wald mit seinem Holzvorrat die einzige Energiequelle des Mittelalters dar", erklärt Karl Brunner vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung: "Vom Bettler bis zum Fürsten – sie alle waren vom Holz abhängig."

Schweine- und Bienenweiden

In der klassischen Siedlungsstruktur im Mittelalter sind die Dörfer von Ackerflächen umgeben, dann folgt Buschwerk mit angrenzendem Wald. Das Areal des an die Felder grenzenden Waldrands war frei zugänglich. Hier konnten sich die DorfbewohnerInnen mit Reisig versorgen, für anderes Holz benötigten sie die Bewilligung des Grundherren.

"Oft war es so, dass einem Dorf ein bestimmtes Waldstück zugewiesen wurde, das die Bevölkerung dann nutzen konnte, sei es für das Vieh, hauptsächlich für Schweine, als Bienenweide oder natürlich für die Holzbeschaffung", erklärt Karl Brunner. Die mittelalterlichen Schweine hatten dabei wenig mit den heutigen rosafarbenen, übergewichtigen Tieren gemein, sie waren gedrungen und grau. Honig wiederum hatte im Mittelalter eine besondere Bedeutung, da es der einzige Süßstoff war.

Zeitalter der Regulierungen

Das sich herausbildende Feudalsystem brachte eine verstärkte Abhängigkeit der Bevölkerung von den jeweiligen Grundherren sowie eine Vielzahl an Verpflichtungen, Gesetzen und Regulierungen mit sich. "Das Mittelalter ist das Zeitalter der Urkunden. Rechte und Pflichten wurden über den Boden bzw. eben auch den Wald verhandelt", erklärt Christian Zolles vom Institut für Germanistik, der sich in seiner Diplomarbeit mit dem Wald des Mittelalters beschäftigt hat: "In dieser Zeit gibt es Landzuschreibungen in großer Zahl, der Boden wird quasi aufgeteilt. Das markiert auch den Beginn der frühen Marktwirtschaft."

Umweltschutz anno dazumal

Zeitgleich mit der Reglementierung von Land- und Waldnutzung werden auch erstmals Schutzurkunden für bestimmte Gebiete erlassen. "Die ersten Waldschutzurkunden stammen aus dem 12. Jahrhundert", so Brunner, der sich in seinen Forschungen mit der Historie österreichischer Wälder beschäftigt: "Damit wurden die Nutzungsrechte eingeschränkt, um eine Waldzerstörung zu verhindern. Im Mittelalter stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich an, folglich fand auch viel Aufsiedelung statt. Die Waldschutzurkunden sollten verhindern, dass dies unkontrolliert vor sich geht."

Wald und Askese

Ins Mittelalter, insbesondere ab dem 11. Jahrhundert, fällt auch die Zeit der großen Ordensgründungen. Und diese sind interessanterweise sehr eng mit den österreichischen Wäldern verbunden. "Als Selbstfindungsort für Propheten spielt vor allem die Wüste eine große Rolle, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Da in Europa aber keine Wüsten existieren, wird eben der Wald für Einsiedler, Asketen und Mönche zum Ort der Meditation", sagt Brunner. So flüchteten sich Einsiedler in die Tiefen der Wälder, um den zunehmenden Reglementierungen dieser Zeit zu entkommen und "nur Gott alleine unterstellt zu sein".

"Einige dieser Mönche wurden später zu Gründern großer Ordensklöster – wie etwa Heiligenkreuz, Zwettl und auch Lilienfeld", ergänzt Zolles. Ironischerweise haben die Mönche die "Zivilisierung" der Wälder – ihren ehemaligen Rückzugsraum – dadurch erst recht vorangetrieben; Zolles spricht von einer "Unterordnung der Wälder durch ein neues Kirchensystem".

Historische Waldforschung

Insgesamt bezeichnet Karl Brunner die historische Waldforschung als "besonders schwierig und mühsam". Der Großteil des Wissens über die Waldbeschaffenheit im Mittelalter stammt aus den damals gegründeten Klöstern. "Im Gegensatz zu adeligen Landbesitzern haben die Geistlichen viel verschriftlicht", erklärt er: "Aufwändig ist neben der Rekonstruktion dieser Texte, darunter Schutzurkunden und Forstordnungen, vor allem auch ihre Interpretation."

Heutzutage arbeiten ForstwirtschafterInnen vermehrt mit HistorikerInnen zusammen, um mehr über Österreichs Wälder und ihre Vergangenheit zu erfahren. "Es freut uns natürlich, dass auf unsere Expertise zurückgegriffen wird", so Brunner, der schon an mehreren forstwissenschaftlichen Projekten beteiligt war: "Jedoch betone ich immer wieder, dass selbst in Österreich je nach regionaler Herkunft ein anderes 'Waldbild' vorherrscht. So hat der Wiener einen anderen Wald vor Augen als etwa der Tiroler oder die Mühlviertlerin. Für das Mittelalter gilt dasselbe. Gerade dieser Interpretationsspielraum macht unsere Arbeit so komplex – und ist gleichzeitig eine spannende Herausforderung." (td)

Univ.-Prof. i.R. Dr. Karl Brunner ist am Institut für Österreichische Geschichtsforschung tätig. MMag. Christian Zolles arbeitet am Institut für Germanistik.