Der Erste Weltkrieg im trivialen Frauenroman

"Zauberpaketchen", preußisch-österreichische Liebespaare und "Ungeziefer": Im uni:view-Dossier "100 Jahre Erster Weltkrieg" erklärt Germanistin Konstanze Fliedl, wie triviale Frauenromane der Ideologie zuarbeiteten und was ihr Konsum über die damalige reale Situation von Frauen aussagt.

uni:view: Was versteht man unter "trivialen Frauenromanen"?
Konstanze Fliedl: Das Genre hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Viele bürgerliche Frauen fingen an zu schreiben, sind aber nicht zur sogenannten Hochliteratur vorgestoßen. Von der Rezeptionsseite her waren die Bücher auch primär für ein weibliches Publikum bestimmt. Frauen lasen Ende des 19. Jahrhunderts bereits viel mehr Belletristik als Männer.

uni:view: Solche Romane haben ja seither oftmals den Stempel, "banal" oder "kitschig" zu sein. Sind sie das?
Fliedl: Natürlich finden sich in solchen Büchern immer wiederkehrende Motive: als erwartbare Handlung eine Liebesgeschichte und damit verbunden der soziale Aufstieg der Protagonistin. Mich interessiert eher das unausgesprochene Gegenbild. Also die Frage: Welche Bedürfnisse und Nöte hatten die Leserinnen in ihrem Leben, welcher Zustand von Unzufriedenheit spiegelt sich durch den Konsum solcher Literatur wider?

uni:view: Warum haben Sie sich mit dem Genre beschäftigt, und welche Bücher haben Sie durchgearbeitet?
Fliedl: Für eine – mittlerweile lang veröffentlichte – Studie habe ich die Romanpublikationen von Frauen von 1914 bis 1918 recherchiert, das sind etwa zwei Dutzend. Darunter sind prominentere Autorinnen wie Enrica von Handel-Mazzetti, aber auch viele, deren Namen man heute nicht mehr kennt, die aber ab Kriegsausbruch quasi mit der Feder in der Hand statt mit dem Gewehr bereitstanden. Die erste Frauenbewegung kam ja durch die Kriegsereignisse zum Stillstand, die bestehenden Frauenvereine wurden erschreckend schnell ideologisch "gleichgeschaltet".


Konstanze Fliedl studierte Deutsche Philologie, Theologie und Kunstgeschichte an der Universität Wien, habilitierte sich 1997 und war anschließend Gastprofessorin in Berlin, Zürich, Bern u. a. 2002 wurde sie nach Salzburg berufen, seit 2007 ist sie Professorin für Neuere deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Intermedialität und Editionstechnik; viele Veröffentlichungen gelten schreibenden Frauen.



uni:view:
Wie spiegelt sich der Erste Weltkrieg konkret in den Romanen wider?

Fliedl: Hier arbeiteten die Autorinnen mit sämtlichen Tricks der Gattung. So finden sich z.B. vor allem zu Kriegsbeginn viele preußisch-österreichische Liebespaare als ProtagonistInnen. Auf diese Weise wurden die politischen Allianzen privatisiert – ein grundsätzliches Verfahren innerhalb des Genres. Historisches wird personalisiert und familiarisiert, d.h. Geschichte erscheint aus der Perspektive der Kleinfamilie.

Ein weiteres Sujet war das Märchenhafte. Granaten werden in den Romanen als "Zauberpaketchen" und die Arbeiter einer Waffenfabrik als Zwerge dargestellt, die im Berg mit ihren Eisenhämmerchen klopfen. Zudem findet sich auch das Sujet der Bestialisierung, das oft äußerst aggressiv und propagandistisch eingesetzt wird. So putzt beispielsweise die brave tüchtige Frau das "Ungeziefer", im übertragenen Sinne die "Russen", weg – eine gar nicht feminine Enthumanisierung der Feinde.

uni:view: Welche Frauenbilder kommen in den Romanen vor?
Fliedl: Prinzipiell geht es immer um die Frage, wie sich die Frauen "der großen Zeit gewachsen" zeigen können – ob in Forderungen nach weiblichem Militärdienst oder auf anderen Gebieten. Vor allem in den späteren Kriegsjahren setzt sich das Genre des Krankenschwesterromans durch, hier geht es um die Rolle der Frau als Helferin und Heilerin. Das wird dann in den Romanen immer mit einer Liebesgeschichte verknüpft. Der literarische Spiegel entsprach der realen Situation. Ab 1915 bekamen z. B. auch Frauen für ihre Tätigkeit als Ärztinnen oder Kriegsberichterstatterinnen Tapferkeitsmedaillen verliehen.


Die Verbreitung der Romane war relativ hoch. Viele sind z. B. in Zeitungen oder Zeitschriften (hier: Titelseite der Zeitschrift "Die Gartenlaube") als Fortsetzungen erschienen. Zahlreiche Bücher wurden sogar im eigens gedruckten Feldpostkartenformat an Soldaten an die Front geschickt.



uni:view:
Wo stößt der Zeitbezug an seine Grenzen?
Fliedl: In den Romanen finden keine politischen Analysen oder keine Darstellung der Kriegsursachen statt. Gattungstypisch werden diesbezüglich lediglich vage Floskeln wie "Es kommt etwas Großes, etwas Schweres auf uns zu" oder einfach die Zustandsbeschreibung "es ist", ohne Subjekt, verwendet.


uni:view: Wird im "Happy End" der Romane der Ausgang des Kriegs vorweggenommen?
Fliedl: In manchen Romanen wurden Zukunftsvorhersagen versucht, allerdings war es für die Autorinnen ein großes Risiko, im Missverhältnis zur tatsächlichen Kriegsentwicklung zu stehen. Deshalb wurde oft eine Lösung auf der privaten Ebene beschrieben, indem beispielsweise ein Verwundeter mit Kriegstrauma heimkehrt und schließlich durch die Liebe geheilt wird. Das Happy End wurde also nicht mehr kollektiv gedacht, sondern individualisiert.

uni:view: Gab es auch pazifistische Tendenzen in den Romanen?
Fliedl: Nein, die staatliche Zensur hat effektiv funktioniert. In der Zwischenkriegszeit gab es sicherlich auch kritische Reflektionen, aber während des Kriegs sind ausschließlich triviale Romane erschienen, die den Krieg unterstützten.

uni:view: Können Sie bitte noch einmal zusammenfassen, was Sie am Forschungsobjekt Trivialroman ab 1914 besonders fasziniert?
Fliedl: Mich interessiert nicht nur, wie die Romane der Ideologie zuarbeiten und Rollenmodelle funktionalisieren, sondern auch der Rückschluss auf die reale Situation von Frauen, sei es der traumatische Verlust des Ehemanns an der Front oder auch die Lebensmittelknappheit. Die tatsächlich in einem Roman auftauchende Formel: "Das Weib ist die Prothese des Mannes" deutet nicht nur auf ein buchstäblich verkrüppeltes Frauenbild, sondern auch auf die tragische Situation der Kriegsinvaliden und ihrer Partnerinnen. Deswegen ist das Genre für mich nach wie vor interessant. (mw)