Dem Glow Worm auf den Kopf geschaut

Wenn die Natur als Vorbild dient: Ziel der Forschung von Janek von Byern von der Universität Wien und seiner Projektpartnerin Victoria Dorrer von der TU Wien ist es, den Klebstoff der neuseeländischen Glow Worms nachzubauen: für die Wundheilung ohne gesundheitsschädliche Nebenwirkungen.

November 2014 im Norden von Neuseeland: Begeisterte TouristInnen bestaunen den ganzen Tag über die blau leuchtenden Larven, die an der Decke der stockdunklen Höhle hängen und Klebefäden zum Beutefang produzieren. Obwohl es künstlich wirkt, ist es doch  die Natur, die dieses Licht lange vor der Glühbirne erfunden hat. Die sogenannten Glow Worms – die Larven der Pilzmückenart Neoditomyia farri – erhellen das Dunkel mithilfe von Biolumineszenz.

Abends um sechs, wenn die TouristInnen bereits Richtung Abendessen unterwegs sind, kommen die WissenschafterInnen: Janek von Byern, Biologe an der Universität Wien, und Victoria Dorrer vom Institut für Chemische Technologien und Analytik der Technischen Universität, rücken mit Höhlen-Equipment an. Bis Mitternacht arbeiten sie in den Höhlen und zählen die Klebefäden oder sogar die klebrigen Tropfen auf den Fäden. Sie wollen herausfinden, wie der Klebstoff der Tiere funktioniert, mit deren Hilfe sie Beutetiere in der Höhle fangen.

Der Beginn

Alles begann mit dem Film "Höhlenwelten" von David Attenborough. "Es wurden Höhlen und deren Bewohner beschrieben und irgendwann in dem Film tauchte dieses Tier auf, das tief in der Höhle lebt, leuchtet und Klebstoffe produziert", erinnert sich der Biologe. Das Tier baut sich eine Hängematte an der Decke der Höhle und lässt von dort bis zu 40 Zentimeter lange Klebefäden herab, auf denen sich in regelmäßigen Abständen klebrige Tropfen befinden. Die Larven sitzen in der Hängematte, leuchten mit dem Po und locken so Beute an. Dann zieht die Larve den entsprechenden Faden hoch wie ein Angler den Fisch aus dem Wasser, verspeist die Beute und legt einen neuen Faden aus.

"Die Biolumineszenz wird seit 100 Jahren erforscht", sagt Janek von Byern. "Alle haben auf den Arsch geschaut, wo das Leuchten herkommt, aber keiner auf den Kopf, wo der Klebstoff produziert wird. Die Tiere sind recht bekannt und bei Touristen ein tolles Motiv in der absolut finsteren Höhle, aber wissenschaftlich noch lange nicht ausgelutscht."

Die Vorbilder 

Nach zwei Jahren Forschung in kalten, feuchten und vor allem stockfinsteren neuseeländischen Höhlen hat ihn die Realität eingeholt: "Das Biest ist komisch. Der Glowi-Klebstoff fällt aus allen Systemen raus, mit denen ich mich bisher beschäftigt habe", sagt er. Und das sind einige. Im Gespräch mit von Byern lernt man, dass es vier Tintenfisch-Arten gibt, die Klebstoffe produzieren. Und nordamerikanische Salamander. Und die allseits bekannten Nacktschnecken. Sogar heimische Zecken.

Ziel seiner Forschung ist es, der Natur nachgebaute, so genannte biomimetische, Klebstoffe für die Wundheilung zu konstruieren, die frei von gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen sind. Die meisten medizinischen Klebstoffe, die derzeit für die Wundheilung, aber auch für die Haftung medizinischer oder dentaler Implantate im Gewebe verwendet werden, sind synthetisch und bestehen größtenteils aus gesundheitsschädlichen und nicht abbaubaren Substanzen.

Und jetzt eben die Mücke Neoditomyia farri. Bei ihr hat er sich Hilfe von anderen Spezialisten geholt: Die Chemikerin Martina Marchetti-Deschmann an der TU Wien, war sofort begeistert von den Fähigkeiten der Larven. Ihre Studentin Victoria Dorrer war auf der Suche nach einer spannenden Masterarbeit, und schon war sie mit von Byern am Weg nach Neuseeland.

Das Video "Glorious Glow Worms and their Glue" begleitet die beiden WissenschafterInnen auf Forschungsmission in die Höhlen Neuseelands. 

Die Analyse

Dorrer erhielt die ersten Proben. Und der Glowi-Klebstoff klebte überall, ließ sich nicht auflösen und klebte selbst in den Analysegeräten unverdrossen weiter. "Es ist nicht einfach, Messungen zu machen, wenn man die Proteine nicht in Lösung bringt. Und dann war da noch das Problem mit möglichen Kontaminationen", erklärt Dorrer. Die Tropfen sehen zwar sauber aus, sind aber oft voller Beute-Reste. Das macht in der Analyse Probleme, weil man unter Umständen nicht die Proteine des Klebstoffes misst, sondern die der Beute. Oder die des Seidenfadens.

Nach einem Jahr Arbeit ist es ihr gelungen, die Proteine aufzureinigen und zur Elektrophorese zu bringen. Nach eineinhalb Jahren konnte sie am Massenspektrometer arbeiten. Und jetzt wird das Paper geschrieben. "Es hat doch etwas länger gedauert, als ich gedacht habe, aber die Runde geht an mich!"

Janek von Byern ergänzt: "Fest steht: 90 Prozent des Klebstoffes sind Wasser, der Proteinanteil ist verschwindend gering. Faszinierend ist: Es klebt auf feuchten und trockenen Flächen, verliert über Wochen nicht die Klebefähigkeit und löst sich ab einer bestimmten Gewichtsgrenze."

Die Pläne

Und der Traum vom ultimativen Klebstoff lebt? "Na klar! Bei DOPA hat es auch zehn, 15 Jahre gebraucht und jetzt wird es überall verwendet. DOPA funktioniert perfekt unter Wasser, aber überhaupt nicht unter trockenen Bedingungen." Was letztlich erklärt, warum Janek von Byern – trotz aller Schwierigkeiten – nicht vom Glow Worm ablässt und einen Klebstoff für feuchte und trockene Oberflächen konstruieren will.