Das Zeitalter des Menschen

Müllberge, Ölbohrungen, CO2-Anstieg – der Mensch hinterlässt gravierende Spuren. In Wissenschaftskreisen diskutiert man daher darüber, ein neues Erdzeitalter auszurufen, das "Anthropozän". Michael Wagreich von der Universität Wien ist Mitglied der globalen Arbeitsgruppe.

Erstmals schlug der Nobelpreisträger Paul J. Crutzen im Jahr 2000 vor, ein neues Erdzeitalter zu definieren, das den immensen Einfluss des Menschen auf das System Erde zum Ausdruck bringt: das Anthropozän. "Die Menschheit formt die Erde in einem Maße um, dass sogar geologische Prozesse beeinflusst werden", sagt Michael Wagreich vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien: "Zum Beispiel transportieren die Menschen gleich viel Schotter wie alle Flüsse weltweit zusammen genommen."

Vom Menschen verursacht

Und das ist nur eines von vielen Beispielen, wie sehr der Mensch in die Umwelt eingreift. Auch die Menge an bioverfügbarem Stickstoff, die wir produzieren, ist seit Anfang der 1980er Jahre größer geworden als jene, die durch die Natur entsteht. Bei Methan verhält es sich ähnlich: Dieses Treibgas – vorrangig durch Reisanbau und Viehzucht angereichert – hat seit mehreren hunderttausend Jahren den Höchstwert in der Atmosphäre erreicht. Ganz zu schweigen von den immensen Eingriffen in die Natur im Zuge der Rohstoffgewinnung: Bohrlöcher weltweit summieren sich auf zigtausende Kilometer.

"Prozesse, die bis vor kurzem noch gänzlich natürlich abliefen, werden nun vom Menschen signifikant beeinflusst. Das geht derzeit sogar so weit, dass wir sichtbare Spuren im Gestein hinterlassen, die selbst in Tausenden von Jahren noch nachweisbar sein werden – und solche Spuren sind für uns ErdwissenschafterInnen die Kriterien bei der Definition von Erdzeitaltern", so Wagreich: "Daher hat die Internationale Stratigraphische Kommission, die für die Einteilung der Erdzeitalter zuständig ist, eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Sinnhaftigkeit des Anthropozäns als neues Erdzeitalter zu prüfen."

Macht es überhaupt Sinn?

Noch befinden wir uns im jüngsten Zeitabschnitt der Erdgeschichte, dem Quartär, das vor 2,6 Millionen mit der Vereisung der Nordhalbkugel definiert wurde. Das Quartär selbst ist zusätzlich noch in die Epochen Pleistozän und Holozän unterteilt; das bis heute andauernde Holozän begann vor über 11.500 Jahren mit der Erwärmung des Klimas. Faktisch befinden wir uns zwar noch immer in einer Eiszeit, allerdings in einer Warmperiode. Ob und wann das Holozän nun vom Anthropozän abgelöst werden soll, wird also seit 2011 von der internationalen ExpertInnen-Kommission geprüft.


Seit den 1950er Jahren wird der menschliche Fußabdruck immer größer: steigendes Artensterben, CO2-Anstieg, Plastik in der Umwelt, wachsende Müllberge, radioaktiver Auswurf, Ölbohrungen, extensiver Fischfang, stetig steigender Fleischkonsum, etc. (Foto: M-Grossmann)



Michael Wagreich von der Universität Wien ist als Experte für das Quartär seit 2012 Mitglied der Arbeitsgruppe, die aus rund 30 WissenschafterInnen besteht, darunter zum Großteil ErdwissenschafterInnen, aber auch ArchäologInnen, BodenforscherInnen, BiologInnen und HistorikerInnen. "Die erste Frage, die in dieser Gruppe diskutiert wurde, war: 'Macht es überhaupt Sinn, ein neues Erdzeitalter zu definieren?'", erklärt der Sedimentologe.

Die Müllhalde ist da

Die Antwort der ExpertInnenkommission ist weitgehend einstimmig: Ja, es macht durchaus Sinn, ein neues Erdzeitalter, das den globalen Fußabdruck des Menschen zeigt, auszurufen. "Keine Frage, der Einfluss des Menschen ist bereits in den Ablagerungen vorhanden und sichtbar. Die Müllhalde ist einfach da, wie eine ältere Gesteinsschicht", gibt Wagreich ein markantes Beispiel. Derzeit wird in der AG diskutiert, auf wann der Beginn des Anthropozäns datiert wird.

Für den "Erfinder" des Anthropozäns, den Meteorologen Paul J. Crutzen, beginnt dieses neue Erdzeitalter mit der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts. "Die Mehrheit unserer Arbeitsgruppe ist aber für einen späteren Zeitpunkt, und zwar für die Mitte des 20. Jahrhunderts, den Beginn der Atombombentests", berichtet Wagreich: "Durch diese Tests haben wir radioaktive Marker, die auch wirklich über die ganze Erde verstreut sind, also global nachweisbar sind, vom Eiskern in der Antarktis bis zum Regenwald im Amazonas."

Konkrete Schritte

Derzeit untersuchen die WissenschafterInnen, ob diese Marker – vor allem Plutonium-Isotope – ab den 1950ern auch wirklich weltweit zu finden sind. Oder ob es vielleicht andere, bessere, Marker für den Beginn des Anthropozäns gibt. Weiters wird der heutige Verbrauch der Menschen an Ressourcen gemessen, wie Süßwasser oder CO2, und mit früheren Jahrzehnten verglichen. Michael Wagreich selbst wirft dabei den Blick zurück in die Erdgeschichte und untersucht ähnliche Ereignisse: "Ich vergleiche die vergangene Grenze des Kreidezeitalters zum Tertiär, wo als Marker ein Meteoriteneinschlag mit seiner Iridiumanreicherung definiert wurde, und untersuche, ob Plutonium oder ähnlich Isotope tatsächlich als Marker für das Anthropozän geeignet sind."

Kann die Einführung des Anthropozäns die "Welt retten"? "Das leider nicht, dazu sind die Eingriffe schon zu weit fortgeschritten. Die Entwicklung werden wir nicht stoppen können", meint Wagreich: "Aber es ist ein wichtiges Symbol und schafft auch Aufmerksamkeit für einen bewussteren Umgang mit der Umwelt und unseren natürlichen Ressourcen. Und inspiriert hoffentlich noch mehr Initiativen in punkto Arten- und Umweltschutz." (td)

Die Publikation "When did the Anthropocene begin? A mid-twentieth century boundary level is stratigraphically optimal" (AutorInnen: u.a. Michael Wagreich) erschien Ende 2014 in der Fachzeitschrift Quaternary International.