Das Rätsel um die "Geburt" von Satellitengalaxien

Satellitengalaxien, die unsere Milchstraße und den Andromeda-Nebel umgeben, zeigen Eigenschaften, die der weit akzeptierten Theorie der Existenz Kalter Dunkler Materie (CDM) als dominierende Masse im Universum widersprechen. An der Studie war der Astrophysiker Gerhard Hensler von der Universität Wien beteiligt.

KosmologInnen berufen sich bei vielen ansonsten unerklärlichen dynamischen Phänomenen auf die "Dunkle Materie". "Dennoch ist bislang nicht direkt nachgewiesen, dass es diese rätselhafte Substanz überhaupt gibt", erklärt Gerhard Hensler, Astrophysiker an der Universität Wien. Und selbst wenn es sie gäbe, würde sie längst nicht alle Abweichungen oder Widersprüche zwischen den Messungen und den theoretischen Vorhersagen beseitigen.

Das heute unter den meisten AstrophysikerInnen akzeptierte Standardmodell, das sogenannte "Lambda Cold Dark Matter Model" (CDM) besagt, dass Satellitengalaxien, die als massearme Zwerggalaxien große Muttergalaxien wie die Milchstraße und den Andromeda-Nebel umgeben, bestimmte Eigenschaften zeigen sollten: "Die leuchtenden Sternsysteme müssen selbst in CDM eingebettet sein, zu Tausenden weit verteilt und unorganisiert die Muttergalaxien umlaufen", so Marcel Pawlowski von der Case Western Reserve University in Cleveland, der gemeinsam mit einer internationalen ForscherInnengruppe die Studie durchführte: "Wir beobachten aber etwas anderes: Die Satellitengalaxien sind auf riesige Scheiben konzentriert und bewegen sich darin in die gleiche Richtung, so wie die Planeten die Sonne umkreisen. Dieser Befund ist unerwartet und stellt ein wirkliches Problem dar."

"Disk of Satellites"

Um die Milchstraße herum sind die Satellitengalaxien in einer fast polaren, dünnen, sogenannten "Disk of Satellites" (DoS) angeordnet und bilden mit Sternhaufen und Sternströmen die "Magellansche Ebene", die die Autoren "Vast Polar Structure" nennen. Um Andromeda liegt die Hälfte aller Satelliten in dem "Great Plane of Andromeda".

Pawlowski und seine Koautoren aus sechs verschiedenen Ländern (USA, Australien, Chile, Frankreich, Deutschland und Österreich) haben sich in ihrer Studie nun mit einem anderen, ebenfalls aus dem CDM-Szenario stammenden Prozess auseinandergesetzt, von dem drei verschiedene internationale Autorenteams schließen, dass die planare Verteilung der Satelliten doch mit dem Standardmodell vereinbar ist. Hierbei geht es darum, dass einzelne Strömungen, "Streams", aus Dunkler Materie auftreten, die in die Gravitationssenken von Galaxien bis zu Galaxienhaufen einfallen und somit auch aus Gas bestehen und hypothetisch Zwerggalaxien produzieren sollten. Es wird heute angenommen, dass alle Scheibengalaxien, wie unsere Milchstraße, auf diese Weise ihre Rotation erhalten haben.

Am Computer simuliert

"Als wir die Simulationen unter Benutzung der Daten dieser anderen Arbeiten mit den Beobachtungen verglichen, fanden wir eine grundlegende Diskrepanz", sagt Pawlowski. Am Computer simulierte Beobachtungsmodelle um tausende milchstraßenähnliche Objekte in kosmologischen Simulationen zeigten den AutorInnen nur einen Fall aus tausenden, der der beobachteten Satelliten-Verteilung um die Milchstraße entspricht. "Die Wahrscheinlichkeit, das gleiche Phänomen um zwei nahe Galaxien, also Milchstraße und Andromeda, vorzufinden, ist sogar geringer als 1:100000", erklärt Gerhard Hensler. Nach zusätzlichen Fehlerkorrekturen schließen die ForscherInnen die Schlussfolgerungen vorangegangener Studien definitiv aus.

Ein anderes Entstehungsszenario

Die WissenschafterInnen schlagen daher für die Satellitensysteme ein anderes Entstehungsszenario vor: Die Kollision zweier großer Galaxien sehr früh im Universum. "Von 'heutigen' Galaxienkollisionen und -verschmelzungen wissen wir, dass weite Gezeitenarme entstehen, in denen Gas und Sterne herausgerissen werden, wobei das Gas zu kleinen Galaxien klumpen und neue Sterne entstehen lassen kann. Diese Gezeiten-Zwerggalaxien bewegen sich zwangsläufig in einer gemeinsamen Bahnebene, bergen aber viele Geheimnisse", erklärt Hensler, denen er in seiner Arbeitsgruppe in FWF- und DFG-geförderten Projekten mit Hilfe von Computersimulationen nachgeht, die am Vienna Scientific Cluster durchgeführt werden.

"Dieses spannende Forschungsfeld hat also deutliche Konsequenzen für unser physikalisches Bild vom Universum. Die mögliche Koexistenz von zwei Typen von Zwerggalaxien, die wir heute beobachtungsmäßig aber nicht kennen, nämlich die einen mit CDM und die anderen ohne, ist ein gravierender Konflikt", so Hensler. (af)

Die Publikation "Co-orbiting satellite galaxy structures are still in conflict with the distribution of primordial dwarf galaxies" (AutorInnen: Pawlowski, M.S., Famaey, B., Jerjen, H., Merritt, D., Kroupa, P., Dabringhausen, J., Lüghausen, F., Forbes, D.A., Hensler, G., Hammer, F., Puech, M., Fouquet, S., Flores, H., Yang, Y.) erschien kürzlich im "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society"