Biodiversitätskrise: Umdenken gefordert

Artenvielfalt in der Krise - Eine aktuelle Studie von ForscherInnen der Universität Wien und des Umweltbundesamtes zeigt, dass die Folgen von Umweltveränderungen wie Lebensraumzerschneidung und Klimawandel verspätet erkannt und unterschätzt werden.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der durch den Menschen verursachte Verlust der Biodiversität weltweit dramatisch beschleunigt. Die Folgen sind unübersehbar: Zerstörung naturnaher Lebensräume, der rasante Rückgang vieler Arten und damit gravierende negative Auswirkungen auf Lebensqualität und -grundlagen der Menschheit. Der Rückgang wichtiger Bestäuber wie Insekten verursacht hohe Verluste in der Landwirtschaft, und der Verlust naturnaher Augebiete verstärkt gravierend die Auswirkungen von Hochwässern.

Verluste zeitlich verzögert

Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Biodiversitätsverlust mit zeitlicher Verzögerung menschlichen Eingriffen folgt. Das bedeutet, dass die Konsequenzen heutiger Eingriffe nicht sofort bemerkbar sind, und das volle Ausmaß des meist irreversiblen Artenverlusts sich erst verspätet einstellt. Die zugrunde liegenden Mechanismen und Folgen dieser verzögerten Biodiversitätsverluste wurden bislang jedoch ungenügend verstanden.


Naturnahe artenreiche Flusslandschaften wie hier die Erlaufschlucht in Niederösterreich sind eine Seltenheit geworden. (Foto: Franz Essl)



Die unterschätzte Biodiversitätskrise und ihre Folgen

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Franz Essl, Wolfgang Rabitsch und Stefan Dullinger, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien und am Umweltbundesamt, untersuchte die Ursachen und Folgen dieser verspäteten Biodiversitätsverluste erstmals genauer. Mit einem alarmierenden Befund: "Die Vernachlässigung der zeitlichen Dimension bei Biodiversitätsverlusten als Folge von Umweltzerstörung führt dazu, dass der langfristige Arten- und Lebensraumverlust oft stark unterschätzt wird. So sterben Restpopulationen vom Aussterben bedrohter Arten nicht sofort aus, ihr langfristiges Überleben ist aber in vielen Fällen kaum mehr zu gewährleisten. Dadurch wird das tatsächliche Ausmaß der Biodiversitätskrise häufig unterschätzt", erläutert Franz Essl von der Universität Wien.

"Dies hat wiederum unmittelbare Folgen für die Menschen. Gerade in einer Zeit, in der die Menschheit mit rasanter Geschwindigkeit weltweit die globalen Ressourcengrenzen der Erde erreicht, sind Artenvielfalt und intakte Lebensräume eine unverzichtbare Grundlage, um beispielsweise die künftigen Folgen des Klimawandels zu mildern und die Nahrungsmittelversorgung dauerhaft zu sichern", ergänzt der Biodiversitätsforscher.


Weltweit werden vielfältige Kulturlandschaften, wie sie in Österreich in den Voralpen (hier im Wienerwald) noch zu finden sind, durch landwirtschaftliche Intensivierung vernichtet. (Foto: Franz Essl)



Politik gefordert: Verbindliche Ziele zum Schutz der Biodiversität


Die Ergebnisse des Wissenschafterteams unterstreichen die Dringlichkeit, nationale und globale Biodiversitätsziele mit Nachdruck umzusetzen. So hat sich die EU und damit auch Österreich zum Ziel gesetzt, den Verlust der Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen. Allerdings zeigen neue Untersuchungen, dass dies mit den derzeitigen Anstrengungen nicht erreichbar ist. Eine zentrale Forderung der Wissenschafter ist daher, nachhaltige Entwicklung und den Schutz der natürlichen Vielfalt zu einer zentralen Aufgabe politischen Handelns zu machen. Nur so können der weltweite Rückgang der Artenvielfalt aufgehalten und die gravierendsten Folgen des Biodiversitätsverlustes gemildert werden. (sb)

Die Publikation "Historical legacies accumulate to shape future biodiversity in an era of rapid global change" (AutorInnen: Essl F, Dullinger S, Rabitsch W, Hulme PE, Pysek P, Wilson JRU & Richardson DM) erschien am 2. Februar 2015 im Fachjournal "Diversity and Distributions."