Auch der Mistkübel "spricht" Englisch

Englische Wörter setzen sich in unserem Sprachalltag immer mehr durch. "Hip, trendy und in", sagen die einen. "Eine Verhunzung der deutschen Sprache", sagen die anderen. Wie präsent "Coffee to go & Co." in der Wiener Sprachlandschaft tatsächlich sind, erforscht Sprachwissenschafterin Barbara Soukup.

Die öffentliche und mediale Debatte rund um die Zunahme der einerseits als lästig und unschön, andererseits als jung und modern empfundenen Anglizismen in der deutschen Sprache hält nun schon seit einigen Jahren an. Noch ist sie im Großen und Ganzen vom subjektiven Empfinden der einzelnen SprachteilnehmerInnen gefärbt, denn wissenschaftliche Untersuchungen, inwiefern das Englische tatsächlich unseren Sprachalltag erobert hat, gibt es bis jetzt kaum.

Zumindest, was die geschriebene Sprache im öffentlichen Raum betrifft. Diese Lücke schließt nun Barbara Soukup, Sprachwissenschafterin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien, mit ihrem Forschungsprojekt "English in the Linguistic Landscape of Vienna, Austria" (ELLViA). Sie untersucht, was (zahlenmäßig) wirklich "dran" ist an Aussagen wie: "Es gibt bereits so viel Englisch in Wien, in Österreich, überhaupt in ganz Europa."

Ausgerüstet mit Fotoapparat und Dresscode "Hier forscht die Universität Wien" ging es zur Feldforschung in die Bezirke Innere Stadt, Josefstadt, Ottakring, Währing, Döbling und Floridsdorf. Diese Bezirke wurden aufgrund folgender Hypothesen ausgewählt: Englisch wird vermehrt in kommerziellen Gebieten verwendet, in denen viele junge Leute oder TouristInnen unterwegs bzw. die mehrsprachlich geprägt sind. Als "Kontrollgruppe" fungierten Gebiete, auf die das Gegenteil zutrifft. (Foto: B. Soukup)

Multilinguale Kanaldeckel, Verkehrsschilder, Schrauben und Schnallen

Dabei verfolgt ELLViA zuallererst das Ziel, die geschriebene (englische) Sprache in Wien exakt zu dokumentieren: Exemplarisch wurden sechs Bezirke mit zwölf Untersuchungsgebieten – Straßenzüge von insgesamt 4,8 km Länge, in 16 verschiedenen Straßen und mit 215 Häuserfronten – akribisch auf jede Form von geschriebenem Text untersucht. Das Ergebnis: Auf über 17.000 Einzelobjekten befand sich Schrift, seien es auch nur Buchstaben, Zahlen oder Zeichen wie die für Prozent oder Euro. Durchschnittlich birgt somit jeder Wiener Straßenmeter mehr als drei Texte.  

Mit einer geschätzten Genauigkeit von 95 % haben die Sprachwissenschafterin und ihr Team die öffentliche Wiener Sprachlandschaft erfasst. Sechs Monate lang haben sie jeden Text – von Verkehrs- über Geschäftsschilder bis hin zu Stickern – fotografiert und katalogisiert, der größte Teil fand sich dabei allerdings im Klein- und Kleinst-Bereich: "Wir haben alle Dinge verzeichnet, die mit freiem Auge sichtbar sind, auch solche, die man vielleicht gar nicht bewusst wahrnimmt – da gibt es zum Beispiel die Inschrift 'Made in England' auf Befestigungsbändern bei Mistkübeln", erklärt Barbara Soukup.

Erste Ergebnisse der Auswertung betreffen die Aspekte Einkaufen und Kommerz: "Es gibt Studien, die belegen, dass etwa in der Werbung oder in Produktnamen vermehrt Englisch benutzt wird", so Barbara Soukup. "Was wir bereits sagen können: Es gibt zumindest ungleich mehr Texte in einer Einkaufsstraße als in einer Wohnstraße. Das klingt vielleicht sehr offensichtlich, wissenschaftlich belegt ist es aber zum ersten Mal."

Welche Sprachen lesen wir im öffentlichen Raum – und warum?

Nach Abschluss der Feldforschung geht es nun um die Auswertung der gefundenen Texte – das wird noch ungefähr ein Jahr Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Zentrale Fragen sind: Welchen prozentuellen Anteil hat Englisch im Vergleich zu den anderen gefundenen Sprachen? Wie oft sind englische Wörter auf den 17.000 Einzelobjekten tatsächlich vorhanden? Und vor allem, warum und wie wird Englisch genau dort verwendet, wo es verwendet wird?

"Im Zuge unserer Forschungen in Ottakring haben viele Leute im Vorfeld gesagt: 'Da werdet ihr sicher sehr viel Türkisch finden.' Dabei haben wir aber fast kein geschriebenes Türkisch entdeckt – weder auf der Thaliastraße noch in der Nebengasse –, und auch an einer türkischen Bäckerei waren nur zwei Schilder mit türkischen Produktnamen. Deutsch dominiert absolut. Das heißt: Das, was die Leute vielleicht hören bzw. erwarten zu hören, ist etwas anderes als das, was tatsächlich geschrieben steht", klärt Barbara Soukup auf.


uni:view: Im März 2016 schickt die Universität Wien zum 100. Mal den Forschungsnewsletter "in die Welt". Warum finden Sie es wichtig, die Gesellschaft über Ihre Forschungsergebnisse zu informieren?"
Barbara Soukup: Als "angewandte" Forscherin interessiere ich mich von vorneherein vorrangig für Fragestellungen, die sich auf konkrete, praktische Erfahrungen und Realitäten in einer Gesellschaft beziehen. Der klassische, abstrahierend-abgehobene "Elfenbeinturm" ist nicht mein Fall! Dieselbe Motivation dafür, herauszufinden, was Menschen erleben und was Gesellschaften bewegt, und das kritisch zu reflektieren, drängt mich dann auch dazu, meine (wie ich selbst natürlich finde, höchst spannenden und gesellschaftsrelevanten) Erkenntnisse wieder unter die Leute bringen zu wollen. Das mag ein bisschen missionarisch klingen – aber ich finde, in gewisser Weise werde ich als Wissenschafterin von der Gesellschaft dafür ja auch bezahlt!

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Die Sprachwahl ist bereits ein Teil der Botschaft

Das bis 2018 laufende, vom FWF geförderte Forschungsprojekt wird zudem die Perspektive des Publikums in den Fokus stellen, die bis heute wenig erforscht ist. Basierend auf der Theorie, dass die Sprachwahl an sich bereits eine zusätzliche Botschaft zum Inhalt eines Textes vermittelt, will Barbara Soukup herausfinden, welche Wirkung das Englische auf die RezipientInnen tatsächlich hat.

Interpretiere ich beispielsweise "Sale" im Unterschied zu "Ausverkauf" wirklich als moderner und dynamischer? Beeinflusst dies dadurch meine Kaufentscheidung bzw. die Wahl des Geschäfts? Fasse ich "Sale" als Sprachrezipientin überhaupt noch als Englisch auf oder ist dieser Begriff bereits so sehr in meinen Alltagsgebrauch übernommen, dass ich keinen Sprachwechsel mehr wahrnehme?

Diese letzte Fragestellung mit Hilfe von psycholinguistischen Experimenten zu klären, ist ein weiteres Ziel von Barbara Soukup: "Im Rahmen der Feldforschungen meinte zum Beispiel eine Geschäftsführerin: 'Bei mir werden Sie nicht sehr viele englische Wörter finden!' Aber schon im Namen ihres Geschäfts steckte das Wort 'Shop'. Als ich sie darauf hinwies, war ihr erstaunter Kommentar: 'Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass das Englisch ist'", schmunzelt die Wissenschafterin.

Genau solche sprachlichen Graubereiche wie etwa "Internet", "Copyshop" oder "Design" möchte Barbara Soukup erforschen. Denn diese Worte sind – wahrscheinlich – bereits so stark in unserem Alltag verankert, dass sie die zusätzliche Botschaft der Sprachwahl nicht mehr vermitteln. Oder haben Sie etwa schon einmal versucht, eine Übersetzung für "Smartphone" zu finden? Eben! (kb)

Dr. Barbara Soukup, Mag.phil., MSc, forscht und lehrt am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Ihr Projekt "English in the Linguistic Landscape of Vienna Austria" (ELLViA) wird vom FWF im Rahmen des Elise-Richter-Programms gefördert und läuft bis Oktober 2018.