"Müll" mit Geschichte

ArchäologInnen suchen in Jordanien nach antikem Müll: Ja, richtig gelesen – auch aus dem, was die Menschen vor tausenden Jahren weggeworfen haben, können wir heute einiges lernen. Konkret wollen die ForscherInnen rund um Günther Schörner wissen, wie Landnutzung und Klimaveränderung zusammenhängen.

Rund 48.000 antike Scherben lagern in den Kellerräumen am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien. Ein großes Team an internationalen ArchäologInnen, GeographInnen und IslamwissenschafterInnen hat sie unter der Leitung von Günther Schörner in Jordanien gesammelt, beschriftet, in Fässer verstaut und per Flugzeug nach Wien verfrachtet, wo sie datiert und näher untersucht werden. "Aus anderen Ländern darf man solche Funde nicht mitnehmen. Die jordanische Antikenbehörde erlaubt dies hingegen, was für uns ein Glücksfall ist", freut sich Günther Schörner, Vorstand des Instituts für Klassische Archäologie an der Universität Wien.

Günther Schörner untersucht gemeinsam mit seinem Team das Umland der drei Siedlungen Gadara, Abila und Umm al-Jimal in der Dekapolis-Region in Nordjordanien (links). Die Flächen rund um die – nicht mehr bewohnte – Siedlung Abila (rechts) wurden im Rahmen von Oberflächenbegehungen und der Suche nach Keramikresten "abgegrast". (Abb. 1: Bernhard Lucke, Institut für Geographie, Universität Erlangen/ Abb. 2: Dominik Hagmann, Institut für Klassische Archäologie, Universität Wien)

Laut dem Projektleiter ist Jordanien mittlerweile eines der wenigen Länder im Nahen Osten, wo archäologische Forschung noch möglich ist: "Von Syrien über den Irak bis hin nach Ägypten – aufgrund von Sicherheitsrisiken und militärischen Auflagen gibt es in dieser Region immer weniger archäologische Grabungen." Zwar ist auch in Jordanien, vor allem hier an der Grenze zu Syrien, der benachbarte Bürgerkrieg spürbar, dennoch gehört das Land zu den sichersten in der Region. "Aber natürlich macht man sich Sorgen, vor allem, wenn so viele Studierende mit dabei sind", beschreibt der Archäologe.

WissenschafterInnen und Studierende aus sechs verschiedenen Ländern sind an dem Projekt beteiligt. "Da wir das Material mitnehmen dürfen, ermöglicht das eine intensive Bearbeitung und eröffnet ganz neue Möglichkeiten", freut sich Projektmitarbeiterin und Dissertantin Nora-Miriam Voss. V.l.n.r.: Charlotte Whiting, Nora Voss, Bilal al Karaimeh, Günther Schörner, Hannah Liedl, David Kulovits, Dominik Hagmann, Hussein al Sababha, Amela Veledar. (Foto: Universität Wien)

Interdisziplinäre Forschung

Wobei in diesem Fall gar keine Grabung im klassischen Sinn stattfindet: Die im Projekt beteiligten BodenkundlerInnen "buddeln" zwar immer wieder kleine Löcher in den Boden, um Proben zu entnehmen, die ArchäologInnen gehen hingegen recht "oberflächlich" vor: "Mit Hilfe von Begehungen suchen wir nach antiken Scherben, die Aufschluss darüber geben, zu welcher Zeit und wie dieser Boden genutzt wurde", erklärt Schörner, der die Frage beantworten will, wie Landnutzung und klimatische Veränderungen zusammenhängen.

Denn der Boden in der untersuchten Region ist heute unwirtlich. "Es gibt die These, dass er aufgrund von falscher Landnutzung unfruchtbar wurde – wir wollen nun wissen, was an dieser Behauptung dran ist", bringt der Archäologe das Forschungsziel auf den Punkt: "Wir finden es wahrscheinlicher, dass Klimakatastrophen oder Klimaveränderungen die Landwirtschaft beeinflusst haben. Doch um das im Detail sagen zu können, müssen wir zuerst wissen, wie die Landnutzung überhaupt ausgesehen hat."

Das Forschungsteam aus ArchäologInnen und NaturwissenschafterInnen auf der Suche nach antiken Scherben: Das Projekt verbindet erstmals in dieser Region ein archäologisches Survey mit bodenkundlichen Untersuchungen. Da gibt es schon mal kleine interdisziplinäre Missverständnisse, lacht Projektleiter Günther Schörner: "Manchmal glaubt man, über dasselbe zu sprechen, meint aber doch Unterschiedliches."

Mehr als nur ein Scherbenhaufen

Aber was sagen nun Scherben von Töpfen und Krügen über die landwirtschaftliche Nutzung eines Gebietes aus? "Um das Ackerland zu düngen, brachte man allerlei Abfall auf die Felder. Darunter war nicht nur organischer Mist, sondern eben auch Reste von Tonkrügen oder Keramikgeschirr, die bis heute erhalten geblieben sind", erklärt Schörner.

Über dieses Scherbenvorkommen schließen die ArchäologInnen auf die Landnutzung von der Bronzezeit bis heute. "Wobei sich bereits herausgestellt hat, dass der Schwerpunkt in der späten römischen Zeit bis in frühislamische Zeit liegt – Scherben aus dieser Zeit haben wir besonders viele gefunden." In dieser Zeit wurde das Land also besonders intensiv genutzt, vor allem für den Getreideanbau.

Die ForscherInnen untersuchen, wie die Keramik über das Land bzw. über die verschiedenen Epochen verteilt ist: Wo bzw. wann gab es mehr oder weniger landwirtschaftliche Nutzung? Dafür müssen die Keramikstückchen datiert und kategorisiert werden, bevor es weiter nach Wien geht. (Foto: Universität Wien)

Keine "Elite-Grabung"

Dabei stammen die "Spuren" aus allen sozialen Schichten: "Sowohl die Armen als auch die Reichen haben ihre Abfälle auf die Felder gebracht – die Scherben erlauben uns somit, Aussagen über die Gesamtbevölkerung zu treffen", betont Projektmitarbeiterin Nora-Miriam Voss. Denn während sich klassische Grabungen meist auf eine Stadt – und dort z.B. auf einen Tempel oder ein Wirtschaftsgebäude – konzentrieren und damit wenig über die breite Bevölkerung aussagen, spiegelt eine solche Oberflächenbegehung, wie sie in Jordanien nun gemacht wird, ein viel größeres Spektrum der früheren Lebensweise wider.

"Immerhin lebten in der Antike nur rund fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung in Städten, weshalb Säulen und Statuen nicht der damaligen Lebensrealität entsprechen – die meisten Menschen waren eben einfache Bauern und keine Bildhauer", erklärt die Dissertantin. Dennoch sei es wichtig, die Untersuchungen in der Nähe von Städten zu machen, wo bereits Ausgrabungen stattfanden. "So können wir vergleichen und unsere Funde besser einordnen."

In Wien angekommen geht es ums Detail. "Feinkeramik wie diese – erkennbar am geringen Durchmesser der Oberfläche und dem intensiven Orange – lässt sich besonders gut datieren, da sie jahrhundertelang intensiv beforscht wurde", erklärt Nora-Miriam Voss und ergänzt: "Weil die Feinkeramik so hübsch ist, war sie früher von großem Interesse für die Forschung". Jedes Stück wird mit einer Individualnummer versehen, damit es dem Fundort zugeordnet werden kann. (Foto: Universität Wien)

Antike Keramik mit aktuellem Bezug

Das haschemitische Königreich Jordanien ist ein Land mit hohem Wüstenanteil, das mit Trockenheit, Bodenerosion und Wasserknappheit zu kämpfen hat. Deshalb stößt das Thema Landnutzung dort auf sehr großes Interesse. "Mit unserem Projekt schaffen wir einerseits – z.B. über diverse lokale Workshops – Bewusstsein für das Thema und helfen andererseits dabei, an alte – bereits in Vergessenheit geratene – Systeme der Landnutzung anzuknüpfen", weist Schörner auf einen gesellschaftsrelevanten Aspekt des Projekts hin.

So versucht man z.B. in Umm al-Jimal, einem der drei "Grabungsorte", anhand der Forschungsergebnisse der Universität Wien bzw. Untersuchungen eines jordanisch-US-amerikanischen Teams, antike Bewässerungsanlagen zu reaktivieren. "Diese waren viel effizienter und nachhaltiger als die heutigen Brunnen, die das letzte bisschen Grundwasser aus hundert Metern Tiefe an die Oberfläche holen", erklärt der Archäologe. Am Ende des Projekts wird somit nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft geblickt. (ps)

Das FWF-Projekt "Historische Landnutzung und Landschaftswandel in der Dekapolis-Region" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Günther Schörner, M.A., Vorstand des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Wien, läuft von 1. Februar 2014 bis 30. April 2017. Projektmitarbeiterin ist Nora-Miriam Voss, M.A. Beteiligte Partnerinstitutionen sind: Institut für Geographie, Universität Erlangen; Annemarie Schimmel Kolleg, Universität Bonn; Department of Antiquities, Jordanien; Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Universitäten, z.B. Yarmouk University Irbid; Aga Khan University, London; Universität Leiden Niederlande; Kooperation mit verschiedenen vor Ort tätigen Grabungsteams, z.B. John Brown University, Siloah Springs (USA) oder Calvin College, Grand Rapids (USA).