Anthropologie: Auf die Finger geschaut

In mehr als 60 Fachartikeln pro Jahr wird das Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger thematisiert. Dieser sogenannte 2D:4D-Wert hängt auch mit der Gesichtsform zusammen, wie ein Team am Department für Anthropologie bei Buben zwischen vier und elf Jahren feststellte.

Je länger der Ringfinger (4D) im Verhältnis zum Zeigefinger (2D), desto "robuster" ist das Gesicht mit niedrigerer Stirn und breiterem Unterkiefer. Mit einem höheren 2D:4D-Wert geht eine "grazilere" Gesichtsform einher. Dieses Ergebnis publizierte eine Forschungsgruppe um Katrin Schäfer vom Department für Anthropologie in der aktuellen Ausgabe des Journals "Proceedings of the Royal Society B".

Präpubertäre "Aktivierung" nachgewiesen

Das Fingerlängenverhältnis wird als retrospektiver Marker für die hormonelle Umgebung in der Gebärmutter herangezogen. Je kleiner der 2D:4D-Wert, also je länger der Ringfinger im Verhältnis zum Zeigefinger, desto höher war die Testosteronexposition des Fötus in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. "Bisher ist man davon ausgegangen, dass der Zusammenhang von Testosteron und Gesichtsform vorgeburtlich 'organisiert' und in der Pubertät 'aktiviert' wird. Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Ausprägung bei Buben bereits präpubertär besteht", erklärt Katrin Schäfer, die Leiterin der Studie.

Bereits in früheren Untersuchungen konnten die ForscherInnen zeigen, dass Erwachsene mit einem größeren 2D:4D-Wert grazilere Gesichtsformen hatten als solche mit einem kleineren Fingerlängenverhältnis. Jener Einfluss war bei Männern dreimal so hoch wie bei Frauen.

Forschungsergebnisse dank Geometrischer Morphometrie

Die aktuellen Ergebnisse wurden mit der Methode der "Geometrischen Morphometrie" erzielt – in deren Entwicklung und Anwendung das Department für Anthropologie zu den weltweit führenden Zentren zählt. Diese koordinatenbasierten Analyseverfahren erlauben es, den Einfluss einzelner Variablen auf biologische Formvariation zu quantifizieren. Innovativ ist hierbei auch, dass sich die Ergebnisse nicht nur als Zahlen, sondern auch als Bilder darstellen lassen, wie in dieser Studie das Ergebnis einer Regression der Gestaltkoordinaten von Kindergesichtern auf ihr Fingerlängenverhältnis.

Wer gilt als männlich?

"Männer mit kleinerem Fingerlängenverhältnis und robusterer Gesichtsform gelten interessanterweise als männlicher und dominanter als jene mit einem größeren Fingerlängenverhältnis und grazileren Gesichtern", sagt Anthropologin Katrin Schäfer. Sie leitet daraus die spannende Frage ab, ob nicht auch Buben entsprechend unterschiedlich beurteilt und behandelt werden – sei es von Eltern, LehrerInnen, Spiel- oder Klassenkameraden: "Dies wäre eine bedeutende Information für das tägliche Zusammenleben und für Personen in pädagogischen Berufen."

Die ForscherInnen beschäftigen sich auch mit der evolutionären Relevanz; der Frage, inwieweit dieser Gestaltvariation biologische Anpassungen zu Grunde liegen. Wenig bekannt sind zudem bislang die unmittelbaren Mechanismen, beispielsweise der Anteil der Mutter an der hormonellen Umgebung des Fötus, und der Einfluss von Stress und sozialem Ranggefüge. Die derzeit laufenden Studien behandeln erweiternd Mädchen und Jugendliche im interkulturellen Vergleich sowie die Erfassung der Gesichtsform in drei Dimensionen mittels Oberflächenscanner. (ad)

Das Paper "Second-to-fourth digit ratio and facial shape in boys: the lower the digit ratio, the more robust the face" (AutorInnen: Konstanze Meindl, Sonja Windhager, Bernard Wallner und Katrin Schaefer) erschien im Februar 2012 online im Journal "Proceedings of the Royal Society B".