Aller Anfang ist Archaeon

Archaea, eine Urform des Lebens? Um die Rolle der winzigen Mikroorganismen in der Evolution zu verstehen, werfen die Mikrobiologinnen Christa Schleper und Filipa Sousa einen Blick auf die Stoffwechselwege der täglich neu entdeckten Archaea-Arten.

Vor 40 Jahren stellte Carl Woese die Mikrobiologie auf den Kopf: Er entdeckte Archaea, eine neue Lebensform, die von der Zellstruktur her weder zu den Eukaryoten (Pflanzen, Tiere und Menschen) noch zu den Bakterien passte. Nach wie vor wissen ForscherInnen wenig über die kleinen Organismen – Christa Schleper und Filipa Sousa vom Department für Ökogenomik und Systembiologie spornt gerade das bei ihrer Arbeit an.

"Es werden ständig neue Linien von Archaea entdeckt, über deren Existenz wir bisher nichts wussten. Wir haben eine Menge an Funden und jemand muss nun Ordnung in diesen Datenhaufen bringen – das sind hoffentlich wir", so Filipa Sousa, seit Juni 2016 als Leiterin eines hochdotierten "Young Investigator"-Projekts des WWTF mit an Bord der Wiener Archaea-Gruppe.

Goldgraben im Archaea-Fundus

Gemeinsam mit Archaea-Expertin und ERC Advanced-Preisträgerin Christa Schleper ist sie den Einzellern auf der Spur. Die beiden Forscherinnen vermuten, auf eine wahre "Goldgrube" für Neuentdeckungen gestoßen zu sein: "Archaea sind wohl über 3,5 Milliarden Jahre alt und gehören damit zu den ersten Lebewesen. Sie geben uns Aufschluss darüber, welche Stoffwechselwege sich als erstes entwickelten und wie komplexere Lebensformen entstanden sind", erklärt Schleper. Ihre These: Die höheren Lebewesen, die sich erst viel später entwickelten, waren eine Art Chimäre aus Archaea und Bakterien.

Eukaryoten teilen viele Informationsverarbeitungsprozesse in der Zelle mit denen der Archaea; vom Stoffwechsel her ähneln die höheren Lebewesen allerdings meist mehr den Bakterien – ForscherInnen gehen davon aus, dass Bakterien und Archaea die Vorläufer der Eukaryoten sind. Um zu erforschen, wie Archaea die globalen geochemischen Zyklen der Erde im Laufe der Zeit beeinflusst haben, nimmt sich Filipa Sousa die Stoffwechselwege der Einzeller vor: Sie entwirft analytische Tools, um die verschiedenen Stoffwechselprofile aus genomischen Daten zu identifizieren. Dafür nutzt sie die rund 5.000 sequenzierten Genome der bekannten Bakterien und Archaea, um den kleinsten gemeinsamen Nenner für bestimmte Metabolismen zu bestimmen. Anschließend leitet sie daraus Vorhersagen für den Stoffwechsel anderer Organismen ab.   



Archaea mögen es extrem

Unbequeme Temperaturen und bedingungslose pH-Werte, konzentrierter Salzgehalt und hoher Druck: Archaea mögen es extrem. Sie halten sich in vulkanischen Gegenden, der Tiefsee oder auch im menschlichen Darm auf. "Die extremophilen Archaea verfügen über stabile Proteine und dichte Membranen – jede einzelne Makromolekularstruktur ist an die Umwelt angepasst", erklärt Schleper: "Das ist schon seit längerer Zeit bekannt, weshalb Archaea vor allem in der Biotechnologie zum Einsatz kommen. Beim Polymerabbau oder in Waschvorgängen braucht es beispielsweise oft Enzyme, die unter hohen Temperaturen arbeiten."

Nicht umsonst wurde ein Archaeon (Halobacterium salinarum) zur "Mikrobe des Jahres 2017" gewählt, schließlich können die winzigen Mikroorganismen so einige Rekorde verbuchen: Sie gehören höchstwahrscheinlich mit zu den ersten Lebewesen, die vor schätzungsweise 3,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Einige Archaea-Arten fühlen sich bei Temperaturen bis zu 122 Grad wohl, andere können einem pH-Wert von -0,6 standhalten. Zudem findet sich unter den Einzellern das mit Abstand schnellste Lebewesen, das in einer Sekunde das 500-fache seiner Körperlänge zurücklegen kann.

Leben auf dem Mars?

Aufgrund der einfachen Stoffwechselwege und der Anpassungsfähigkeit sind Archaea auch für die Exobiologie von besonderem Interesse: "Archaea leben von Luft und Liebe", schmunzelt Schleper: "Viele können Energie sogar aus Wasserstoff, Schwefel oder Kohlenmonoxid gewinnen – und könnten damit womöglich auch unter den auf dem Mars herrschenden Bedingungen überleben."

Allgegenwärtig und vielfältig


Für Archaea-Funde müssen die ForscherInnen aber nicht in die Ferne schweifen: "Archaea sind allgegenwärtig und ihre Vielfalt könnte gleich groß sein wie die der Bakterien." Davon gehen die Wissenschafterinnen angesichts der fast täglich neu entdeckten Archaea-Arten aus. 2011 konnte Schleper sogar im Universitätsgarten am Alsergrund "Nitrososphaera viennensis", das erste Ammoniak oxidierende Archaeon aus Wiener Böden, in Reinkultur isolieren.

Eine fruchtbare Verbindung

Um neue Archaea-Linien dreht sich auch das aktuelle ERC-Projekt der Mikrobiologin Christa Schleper: In Umweltproben suchen sie und ihre MitarbeiterInnen nach den winzigen Mikroorganismen, kultivieren und beschreiben sie. Sousa und ihre Forschungsgruppe nehmen sich dann das genetische Material neuentdeckter Archaea-Linien vor und berechnen es. "Mit ihrem Young-Investigator-Projekt besetzt Filipa sozusagen die Schnittstelle zwischen Bioinformatik und experimenteller Laborarbeit: Sie analysiert große genomische Daten und verknüpft diese mit biologischen Fragen", freut sich Christa Schleper über den Neuzugang am Department für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien. (Text:hm/Video:ps)

Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Christa Schleper erhielt für ihr Projekt "TACK Superphylum and Lokiarchaeota Evolution – Dissecting the Ecology and Evolution of Archaea to Elucidate the Prokaryote to Eukaryote Transition" den ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates. Maria Filipa Baltazar de Lima de Sousa, PhD ist seit Juni 2016 mit einer 1,5 Mio. Euro hohen "Vienna Research Groups for Young Investigators"-Förderung des WWTF am Department für Ökogenomik und Systembiologie, wo sie in acht Jahren ihr Projekt "Pan-metabolic profiling of Archaea: The ecology of genomics" durchführen wird.