Tagung zum Thema "Unterschichtenfernsehen"

Vom Donnerstag, 9. Juni, bis Samstag, 11. Juni 2011 findet am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (TFM) der Universität Wien eine Tagung zum Thema "Unterschichtenfernsehen" statt: "class matters" – so das Schlagwort, mit dem man gegenwärtige Debatten in Feuilleton und Wissenschaft über "neue Unterschichten", dem "abgehängten Prekariat" oder der "neuen Armut" überschreiben könnte. Die Tagung bietet erstmals Gelegenheit, dieses Thema, das bisher hauptsächlich in den Sozialwissenschaften bearbeitet wurde, medienwissenschaftlich zu diskutieren.

Im Rahmen der Tagung wird unter anderem darüber diskutiert, ob eine Reaktualisierung des Begriffs der Klassengesellschaft notwendig ist – und wenn ja, mit welchem Ziel dieser Einsatz verknüpft sein sollte. Geht es darum, einen gegebenen, aber tendenziell tabuisierten gesellschaftlichen Zustand zutreffend, realistisch zu beschreiben, wie es der Historiker Paul Nolte aber auch Autoren wie Thilo Sarrazin sich wünschen? Oder müsste es in einer Rückbesinnung auf Klassenfragen darum gehen, diejenige Tradition wieder zu stärken, die den Begriff der Klassengesellschaft dazu verwendet hat, ein soziales Missverhältnis – im Sinne von unterschiedlichen Chancen – beschreibbar zu machen?

Lässt die Art des Medienkonsums auf die soziale Schicht schließen?

Aus der Sicht der Medienwissenschaft gerät diese Diskussion aus einem ganz spezifischen Grund in den Blick: Der populär gewordene Begriff des "Unterschichtenfernsehens" deutet darauf hin, dass die soziale Frage, um die es hier geht, eng mit der Frage nach dem richtigen oder falschen Medienkonsum verbunden ist. Und nicht nur das: Die jeweiligen Eigenschaften oder Zustände sowohl des Fernsehens – anspruchsvoll oder trivial – als auch sozialer Schichten – ehrgeizig und aufstiegsbereit oder nicht – sind in dieser Debatte wechselseitig voneinander abhängig. So werden diejenigen, die der "Unterschicht" zugerechnet werden, an Merkmalen ihres Mediengebrauchs sowie anhand der Art ihres Auftretens im Fernsehen bestimmt, etwa in Formaten des "Reality"- oder "Makeover"-Fernsehens, bei denen beispielsweise Schönheitsoperationen hautnah mitverfolgt werden können. Und umgekehrt wird das Abgrenzungsbemühen, das sich in der Rede über die sogenannte "Unterschicht" abzeichnet, auch im Hinblick auf die Diskussion über die Qualität und Rolle des Fernsehens produktiv.

Eine spezifische und derzeit prominente Form der Medien- und Fernsehkritik nimmt genau in diesem Punkt, der unterstellten Affinität von Fernsehen und "Unterschicht", ihren Ausgang und belegt einen proklamierten "Qualitätsverlust" des Fernsehens mit dem Hinweis auf seine Zielgruppen und AdressatInnen. Was sich dabei sehr deutlich zeigt, ist, dass sich in der Debatte über die vorgeblich sinkende Qualität des Fernsehens eine Form der Medienkritik mit der Diskriminierung prekarisierter sozialer Gruppierungen verknüpft.

Andrea Seier vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Organisatorin der Tagung, meint dazu: "Es zeigt sich, dass die notwendige Kritik am Begriff des 'Unterschichtenfernsehens' als pejorativer – also schlecht machender – Sprachgebrauch zu kurz greift. Deshalb verfolgt die Tagung die These, dass das Fernsehen Kultur und Gesellschaft nicht nur beeinflusst, in dem es Bilder und Narrative des Sozialen zeigt, sondern dass es an der Fabrikation des Sozialen konstitutiv beteiligt ist. Dabei wird das Fernsehen im Sinne Bruno Latours als ein Handlungsträger – als eine Agentur – verstanden, in der sich mediale und soziale Dispositive überlagern, in der Interessen und Handlungsmächte sich verteilen."

Medienwissenschaftliche Auseinandersetzung fehlte

Den Anstoß für diese Auseinandersetzung bilden vorrangig zwei Befunde: Zum einen ist mit dem Rückgang der Cultural Studies im Bereich der Wissenschaft, aber auch im Zuge der gesellschaftlichen Dethematisierung sozialer Differenzierung, die Bearbeitung dieser Thematik für lange Zeit in den Hintergrund getreten. Erst die eingangs skizzierten Debatten haben diese Phase der Dethematisierung abgelöst. Zum anderen fand die bisherige Auseinandersetzung mit dieser Thematik hauptsächlich im Bereich der Sozialwissenschaft statt. Eine theoretisch und methodisch fundierte Bearbeitung aus dem Bereich der Medienwissenschaft steht daher noch aus.

Die Tagung wurde von Andrea Seier und Thomas Waitz konzipiert sowie von Patric Blaser und Andrea Braidt – alle Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften – organisiert. (vs)



Tagung "Klassenproduktion - Fernsehen als Agentur des Sozialen"

Donnerstag bis Samstag, 9. bis 11. Juni 2011
Depot - Raum für Kunst und Diskussion
Breite Gasse 3, 1070 Wien

Keynote: "Digital housework and changing aesthetics of television"
Donnerstag, 9. Juni 2010, 19 Uhr
Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Maria-Theresien-Str. 3, 1010 Wien, 5. Stock
Nähere Informationen und Programm

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. Andrea Seier

Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Universität Wien
1010 - Wien, Maria-Theresien-Str. 3, 5. Stock
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andrea.seier@univie.ac.at

Rückfragehinweis

Mag. Veronika Schallhart

DLE Öffentlichkeitsarbeit
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