TäterInnenforschung: Das Konzentrationslager als Arbeitsplatz
18. April 2012Wer arbeitete im Konzentrationslager Mauthausen? Mit der "Lager-SS Mauthausen", zu der neben dem Kommandaturstab und den Wachmannschaften noch weitere Personengruppen zählten, beschäftigt sich ein Forschungsteam um Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte.
Freizeit im KZ Mauthausen: "Es ist ein sehr 'banales' Bild, das mich besonders irritiert – zwei SS-Leute machen es sich in der Mittagspause auf Stühlen bequem, schließen die Augen und wenden ihre Gesichter der Sonne zu", beschreibt der Zeithistoriker Bertrand Perz eine Archivfotografie aus dem Lager. Weit entfernt von den Bildern, die nach der Befreiung des Konzentrationslagers entstanden, ist auf diesem Foto eine "harmlose" Situation des Dienstalltags festgehalten, in dem das KZ-Personal über Jahre hinweg agierte und Verbrechen beging.
Das Lagerpersonal im Überblick
"Im Rahmen des FWF-Forschungsprojekts interessieren wir uns für die TäterInnen im KZ Mauthausen. Der Begriff 'Lager-SS' ist dabei weit gefasst", erklärt der Projektleiter, der gemeinsam mit Magdalena Frühmann, Stefan Hördler und Christian Rabl am Thema arbeitet. Neben der obersten Hierarchie der Lagerorganisation – dem Kommandaturstab – sowie den Wachmannschaften gehörten dazu u.a. auch Feuerschutzpolizisten, überstellte Wehrmachtsoldaten, weibliches Wachpersonal, ziviles Personal in den Abteilungen der Lagerverwaltung sowie Personen, die bei der SS-Firma "Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH" beschäftigt waren – letztere betrieb die Steinbrüche.
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter April 2012. Lesen Sie auch: > "Die verlorene Sprache" > "Krebsforschung: Hat der Schimmel auch sein Gutes?" |
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Mit dem Fokus auf das gesamte Personal und dessen komplexes Beziehungsgeflecht betreten die ForscherInnen wissenschaftliches Neuland: Denn lange Zeit befasste sich die TäterInnenforschung weitgehend damit, die Biographien einzelner Personen zu rekonstruieren. Die Lebensgeschichten und Motive von Individuen stehen in diesem Forschungsprojekt aber klar im Hintergrund. "Wir schauen uns u.a. an, wie sich das Personal im Laufe der Jahre veränderte und was den Dienstalltag im Lager ausmachte", beschreibt der Historiker einen Teilaspekt der Studie.
Dabei sind auch strukturelle Aspekte der Verwaltung mitzudenken: Das KZ Mauthausen war als Teil einer Großorganisation von Konzentrationslagern der Inspektion der Konzentrationslager (IKL) bzw. dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt in Berlin/Oranienburg unterstellt und, wie sämtliche Lager, organisatorisch in Kommandaturstab und Wachmannschaften geteilt. Der Kommandaturstab, der aus mehreren Abteilungen bestand, bewachte und betrieb das Lager im Inneren. Die Wachmannschaften waren hingegen für die Außenbewachung zuständig und beaufsichtigten Häftlinge während der Zwangsarbeit.
Exkurs: Wachmannschaften und Fluktuation
Die Personalveränderungen bei den Wachmannschaften sind in den Grundzügen bereits bekannt, die tatsächliche Fluktuation bedarf aber angesichts der großen Zahl an Personen aufwändiger Recherchen und Analysen. Zu Beginn gehören ihnen österreichische und deutsche SS-Leute an, von denen im Laufe des Kriegs aber viele an die Front versetzt werden. Gleichzeitig wird das Lager größer. Ab 1942 bewachen zunehmend deutschsprachige Minderheiten aus Südosteuropa das Lager Mauthausen, das Zweiglager Gusen und eine steigende Zahl von Außenlagern. Zwei Jahre später werden Wehrmachtssoldaten rekrutiert. 1944/45 – das KZ Mauthausen ist Evakuierungsziel von aufgelösten KZs und Vernichtungslagern in Osteuropa – kommen weitere Häftlinge und auch SS-Angehörige ins Mühlviertel: Im März 1945 sind rund 10.000 Personen im KZ-Komplex (samt Außenlagern und angelagerten Institutionen) beschäftigt, mehr als doppelt so viele wie zu Höchstzeiten in Auschwitz. Dem stehen zu dieser Zeit rund 85.000 Häftlinge gegenüber.
Kontinuität und Brüche
"Man sieht, dass es da enorme Veränderungen gibt. Wir beschäftigen uns im Detail damit, ob sich dadurch auch der Umgang mit den Häftlingen wandelt", so der Historiker: "Klar ist, dass das KZ-System funktioniert, unabhängig davon, wer es bewacht. Das hat wohl auch damit zu tun, dass der ideologisch geschulte Kommandaturstab wenig fluktuierte und dadurch die Hierarchie zwischen der Leitung und den Wachmannschaften stark ausgeprägt war."
Aus der Mitte der Gesellschaft?
Kaum erforscht ist bisher auch, aus welchen Teilen der Gesellschaft die Personen kamen, die den "KZ-Betrieb" gewährleistet haben: Informationen zu deren Herkunft, Alter, Bildung und Sozialisierung, etc. gewinnt das Projektteam durch Quellen aus den Beständen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, des Bundesarchivs Berlin – insbesondere SS-Personalakten –, des National Archives in Washington D.C., des Internationalen Suchdiensts Bad Arolsen sowie aus Gerichtsakten. Hier steht die Frage im Zentrum, ob die Zusammensetzung des SS-Personals jene der damaligen Gesellschaft abbildete.
Darüber hinaus beschäftigt sich das Team auch damit, wie das Personal in das regionale Umfeld eingebunden war und wie sich ihr weiterer Lebenslauf nach 1945 gestaltete. Perz schließt mit den Herausforderungen der komplexen Forschungsarbeit: "Um das Personal erforschen zu können, müssen wir den Ort als Arbeitsplatz begreifen, ohne das KZ-Geschehen zu banalisieren. Die Themen reichen daher von verschiedenen Formen der Gewaltausübung gegenüber Häftlingen bis hin zu Sozialkontakten zwischen dem SS-Personal und der lokalen Bevölkerung." Im Rahmen der Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen werden die Ergebnisse in eine Ausstellung über die SS einfließen. (dh)
Das FWF-Projekt "Die Lager-SS Mauthausen" läuft von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2012 unter der Leitung von Ass.-Prof. Doz. Dr. Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte. Magdalena Frühmann, MA, Mag. Stefan Hördler und Mag. Christian Rabl, ebenfalls vom Institut für Zeitgeschichte, sind ProjektmitarbeiterInnen. Kooperiert wird mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.