Sexuelle Selektion kann Bildung von Arten verhindern

Eine häufige Form von sexueller Selektion entsteht, wenn sich Weibchen ihre Partner nach gewissen Kriterien aussuchen. Reinhard Bürger von der Fakultät für Mathematik veröffentlichte gemeinsam mit einer US-Kollegin in "PNAS" ein mathematisches Modell über die populationsgenetischen Auswirkungen dieser sexuellen Selektion. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Ansicht fand er heraus, dass sexuelle Selektion die Aufrechterhaltung von Artgrenzen nicht fördert, sondern sogar im Gegenteil verhindern kann.

Sexuelle Selektion tritt auf, wenn sich Individuen desselben Geschlechts innerhalb einer Art in ihrer Fähigkeit unterscheiden, einen Partner zur Fortpflanzung zu finden. Dazu kommt es etwa dadurch, dass Männchen durch Paarungskämpfe entscheiden, wer sich paaren darf. Eine andere häufige Form von sexueller Selektion entsteht dadurch, dass sich Weibchen ihre Paarungspartner nach gewissen Kriterien aussuchen. Eindrucksvolles Beispiel dafür sind Laubenvögel in Neu Guinea oder Australien, deren Männchen während der Paarungszeit ausgefallene bunte "laubenähnliche" Objekte bauen. Die Weibchen besuchen mehrere dieser "Lauben", bevor sie sich mit einem dieser Männchen paaren. Männchen haben daher unterschiedlichen Paarungs- und damit auch Fortpflanzungserfolg, wodurch Selektion aufgrund sexuell relevanter Eigenschaften entsteht.

Da Weibchen oft Präferenzen für Männchen mit unterschiedlichen Merkmalen zeigen, wird sexuelle Selektion seit Darwin als ein wichtiger Faktor angesehen, der die Trennung nahe verwandter Arten aufrecht erhält, oder sogar zur Artbildung beiträgt. "Diese Trennung bleibt erhalten, da Weibchen aus einer Unterart Männchen ihrer eigenen Unterart wesentlich stärker präferieren als Männchen aus einer anderen Unterart, obwohl eine Paarung biologisch durchaus möglich und deren Nachkommen lebensfähig wären", erklärt Reinhard Bürger, Mathematiker an der Universität Wien.

Neue Arten entstehen aus einer Vorgängerart oft dadurch, dass sie sich sehr lange in räumlicher Trennung entwickeln und daher an unterschiedliche Umweltbedingung anpassen. Wenn sie durch räumliche Zusammenführung wieder in Kontakt geraten, ausgelöst etwa durch geologische oder klimatische Veränderungen, dann haben Weibchen meist eine Präferenz für ihre "eigenen" Männchen.

"Mit Hilfe mathematischer Modelle aus der Populationsgenetik konnten wir zeigen, dass nach erfolgtem Kontakt die Differenzierung zwischen beiden Arten schwächer wird, je stärker die Präferenz der Weibchen für die 'eigenen' Männchen ist", so Reinhard Bürger. Dadurch kann auch ein Evolutionsprozess ausgelöst werden, der zu schwächeren Präferenzen führt. Als Konsequenz werden sich auch die beiden Arten in dem Merkmal, das sie an unterschiedliche Umweltbedingungen angepasst hat, ähnlicher. Bürger: "Das war ein sehr überraschendes Resultat: Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung konnten wir nachweisen, dass sexuelle Selektion die Aufrechterhaltung der Artgrenzen nicht fördert, sondern sogar verhindern kann".

Der Untersuchung liegt die Modellannahme zugrunde, dass Weibchen eine Präferenz für ein männliches Merkmal zeigen, das zur besseren Anpassung an die "eigene" Umwelt führt. Durch Migration kommen nun aber beide Arten in beiden Territorien vor. Fremde Weibchen kommen im fremden Territorium häufiger vor als ihre Männchen, die dort ja einen Selektionsnachteil haben, und damit seltener das Paarungsalter erreichen. Wie die ForscherInnen herausfanden, führt das dazu, dass diese fremden Männchen relativ zu den heimischen Männchen häufiger zur Paarung kommen als ihre männlichen einheimischen Kollegen. Daher hat ein fremdes Männchen im Schnitt mehr Nachkommen als ein Einheimisches. Dadurch verringern sich die Unterschiede zwischen den beiden Arten im Lauf der Zeit. Je stärker die Präferenz der Weibchen, desto geringer werden die Unterschiede, da eine starke Präferenz der fremden Weibchen deren Männchen stärker bevorzugt.

Wissenschaftliche Publikation:
Maria R. Servedio, Reinhard Bürger: "Counterintuitive role of sexual selection in species maintenance and speciation". PNAS Online Early Edition. 13. Mai 2014
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1316484111

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