Musizieren wie im Rausch
14. November 2013Wer kennt nicht das Gefühl des Tätigkeitsrausches, der völligen Vertiefung und des Aufgehens in einer Sache? Untersuchungen zu Flow, wie dieser Zustand höchster Motivation genannt wird, wurden vor allem durch den Psychologen Mihály Csíkszentmihályi geprägt. Zum Erleben von Flow bei MusikerInnen gibt es bislang jedoch nur wenig Forschung. Manuela Marin, Systematische Musikwissenschafterin und Musikpsychologin an der Universität Wien, hat nun in Zusammenarbeit mit dem Gehirnforscher Joydeep Bhattacharya, Goldsmiths, University of London, das Erleben von Flow bei KlavierstudentInnen untersucht. Die Ergebnisse erscheinen demnächst in der Open-Access-Zeitschrift Frontiers in Psychology.
Veränderte Bewusstseinszustände, die während einer Tätigkeit auftreten, sind wissenschaftlich schwer zu untersuchen. So auch das Erleben von Flow, einem Glückszustand, in dem man hochkonzentriert ist, alles um sich herum vergisst und einer Tätigkeit aus innerem Antrieb nachgeht. Dieser Zustand des Einswerdens mit einer Tätigkeit tritt vor allem dann auf, wenn eine Balance zwischen Fähigkeiten und Herausforderungen herrscht. "Csíkszentmihályi hat diesen besonderen Zustand schon in den 1960er Jahren bei Malern und Bildhauern beobachtet. Der Grund für die Motivation der Künstler lag primär in der Aktivität an sich. Diese hatte sozusagen ihre Zielsetzung bei sich selbst und wurde als lohnend empfunden. Extrinsische Faktoren wie Ruhm und Geld haben sie meist nicht angetrieben Kunst zu schaffen", erklärt Manuela Marin, die in der Forschungsgruppe von Helmut Leder, Vorstand des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Universität Wien, vor allem zum ästhetischen Erleben und Verhalten forscht.
Der Musikerpersönlichkeit auf der Spur
Manche Menschen können schneller Flow erleben als andere und werden als autotelische Persönlichkeiten bezeichnet. Erste Befunde der Persönlichkeitsforschung haben gezeigt, dass das Erleben von Flow bei Tätigkeiten in der Freizeit und in der Arbeitswelt mit gewissen Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängt. Zum Beispiel sind autotelische Persönlichkeiten im Allgemeinen neugierig und am Leben interessiert, ausdauernd und weniger ichbezogen. Im Musikbereich wurde bisher festgestellt, dass MusikerInnen mit wenig Lampenfieber mehr Flow erleben also solche, die an großer Aufführungsangst leiden. Manuela Marin hatte die Idee, den möglichen Zusammenhang zwischen Flow, Emotion und Persönlichkeit bei MusikerInnen zu untersuchen. "Musikalische Kommunikation basiert stark auf den Ausdruck und der Rezeption von Emotionen, daher ist es für MusikerInnen wichtig, effektiv mit Emotionen umgehen zu können. Hierbei könnte die emotionale Intelligenz eine Rolle spielen. Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass MusikerInnen mit einer längeren musikalischen Ausbildung eine höhere emotionale Intelligenz besitzen", so Manuela Marin.
Positiver Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und Flow
KlavierstudentInnen gaben bei einer Befragung an, dass die durch die Musik ausgedrückten und induzierten Emotionen in der Tat eine Rolle beim Erleben von Flow spielen. Es konnte auch gezeigt werden, dass neben der täglichen Übedauer die emotionale Intelligenz positiv mit Flow zusammenhängt. Anders ausgedrückt, je höher die emotionale Intelligenz der MusikerInnen, desto mehr Flow wurde beim Klavierspielen erlebt. Dazu meint Marin: "Diese Befunde sind wichtig, und nur wenn wir mehr über die Rolle von Persönlichkeit und individuellen Unterschieden in Bezug auf das Erleben von Flow bei MusikerInnen erfahren, wird es möglich sein, experimentelle Untersuchungen im Labor effizient durchzuführen. Dies gilt auch für Forschung von Flow außerhalb des Musikbereichs. Deshalb interessieren uns allgemeine Persönlichkeitsmerkmale mehr als individuelle Unterschiede, die spezifisch für eine Aktivität sind."
Mehr Flow, bessere Leistung?
Flow wird nicht nur mit empfundener Freude, sondern oft auch mit hoher Leistung in Beziehung gebracht. In der vorliegenden Studie wurde daher auch untersucht, ob das Gewinnen eines Klavierwettbewerbes mit dem Auftreten von Flow im Zusammenhang steht. "Unsere Daten sprechen nicht dafür, aber das kann mehrere Ursachen haben. Es stellt sich uns derzeit vor allem die Frage, wie man Erfolg im Kunstbereich überhaupt misst. Unsere Studie hat sich nur ein mögliches Maß unter vielen angesehen. Es wird daher zukünftig notwendig sein, andere Kriterien miteinzubeziehen und Leistung differenzierter zu betrachten", erläutert Manuela Marin abschließend.
Publikation:
Marin, M. M., & Bhattacharya, J.: Getting into the musical zone: Trait emotional intelligence and amount of practice predict flow in pianists. Frontiers in Psychology, 4 (853). http://www.frontiersin.org/Journal/10.3389/fpsyg.2013.00853/abstract
Wissenschaftlicher Kontakt
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