Mensch – ich tu Dir nichts

Je mehr wir uns in die Gedankenwelt eines Menschen hineinversetzt haben, umso mehr sind wir bereit, uns später für diesen einzusetzen. Dieses Hineinversetzen löst bei uns "Humanisierung" aus: die Person wird stärker als ein Mensch wahrgenommen. Ein Team von der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit der Universität Wien in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien hat Effekte dieser "Humanisierung" untersucht. Die Studie dazu erscheint aktuell in der Fachzeitschrift PLoS ONE.

Unter "Humanisierung" versteht man das Wahrnehmen von Anderen als Individuen mit mentalen Zuständen, wie Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen. Das Team, geleitet von Claus Lamm, untersuchte, wie sehr Humanisierung den Entscheidungesprozess bei fiktiven Notfallssituationen beeinflusst. Unsere Vorstellung von Anderen ist manipulierbar und nicht konstant – so werden bei "Dehumanisierung", dem anderen Extrem, Anderen mentale Zustände aberkannt. Das Ausmaß von Humanisierung scheint häufig mit dem Ausmaß von moralischem Verhalten gegenüber Anderen in Zusammenhang zu stehen. Bei Empathie, dem Mitfühlen mit Anderen, werden in unserem Gehirn ähnliche neurale und psychologische Prozesse hervorgerufen, als wenn man die wahrgenommenen Gefühle selbst empfinden würde. Sich das Leiden von Personen, die "so wie man selbst" denken und fühlen, vorzustellen, würde daher zu einem ausgeprägteren Nachempfinden ihrer negativen Gefühle führen.

Humanisierte Personen erzeugen Empathie und Sympathie
Mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) wurden die Effekte von Humanisierung auf prosoziales Verhalten (Hilfsbereitschaft) näher untersucht. Dabei wurde bei unterschiedlichen Aufgabenstellungen die Gewebsdurchblutung im Gehirn analysiert. "Wir gaben unseren Versuchspersonen im MR-Scanner zuerst Texte über imaginäre Personen vor. Bei manchen Texten war es notwendig, sich in die Person hinein zu versetzen, um sie zu verstehen und Fragen über sie zu beantworten –  unsere Humanisierungsmanipulation. Bei anderen war das nicht notwendig, denn die Texte und Fragen zu den Personen bezogen sich ausschließlich auf sachliche Informationen – ein ganz subtiler Unterschied", erklärt Jasminka Majdandžić die Vorgangsweise für die Studie und weiter: "In jedem Fall hatten die Studienteilnehmer abschließend in einer fiktiven Situation zu entscheiden, ob sie die jeweils beschriebene Person opfern würden, um das Leben mehrerer Anderen retten zu können."

Dabei stellte sich heraus, dass humanisierte Personen bei solchen Dilemmata weniger oft geopfert wurden als nicht-humanisierte Personen. Die humanisierten Personen wurden zudem als menschlicher bewertet. Darüber hinaus verursachten die Entscheidungen bei humanisierten Personen den Probanden mehr Stress – sie taten sich anscheinend schwer, "die irrationelle Alternative" zugunsten des Wohls der Mehrheit zu unterdrücken. Aufgrund der fMRT wurde ersichtlich, dass während einer solchen Entscheidung ein Netzwerk von Gehirnarealen, das konflikthafte Situationen, negativen Emotionen und Selbstkontrolle verarbeitet, erhöhte Aktivität zeigte.

Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass das Ausmaß, in dem wir Andere als einen Mensch mit Gedanken und Gefühlen wahrnehmen, entscheidend für unser prosoziales Verhalten ihnen gegenüber ist. Die Studie lässt daher vermuten, dass auch in wirklichen Notfallsituationen, wie z.B. im Falle eines Rettungseinsatzes, eine gewisse Voreingenommenheit sich nur schwer unterdrücken lässt: wir bevorzugen Personen, die uns ähnlich vorkommen – denn sie sind so wie wir selbst.

Publikation
The human factor: Behavioral and neural correlates of humanized perception in moral decision making. Jasminka Majdandžić, Herbert Bauer, Christian Windischberger, Ewald Moser, Elisabeth Engl, Claus Lamm.
PLoS ONE, 17. Oktober 2012.
DOI: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0047698


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