Keine Regel ohne Ausnahme: Archaeen mit unerwarteten Eigenschaften entdeckt

Mikroorganismen spielen eine entscheidende Rolle in den großen Stoffkreisläufen und somit für den Zustand der Erde. Zu diesen zählen Ammonium-oxidierende Archaeen, deren Häufigkeitsnachweis bislang auf dem Nachweis des amoA-Gens beruhte. Ein Forschungsteam um Michael Wagner, Leiter des Departments für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien, hat nun amoA-tragende Archaeen nachgewiesen, die nicht Ammonium oxidieren. Die WissenschafterInnen publizieren ihren überraschenden Befund in der aktuellen Ausgabe der renommierten Zeitschrift "PNAS".

Ohne die Stoffwechselleistungen der kleinsten aller Lebewesen, der Archaea und Bakterien, wäre Leben auf der Erde nicht möglich. Diese Mikroorganismen spielen eine entscheidende Rolle für den Kreislauf der Stickstoffverbindungen in der Biosphäre und damit für den Zustand unseres Planeten. Von besonderer Bedeutung hierbei ist der sogenannte Nitrifikationsprozess, bei dem durch die Aktivität von Mikroben Ammonium über Nitrit zu Nitrat umgewandelt wird.

Labiles Gleichgewicht des Stickstoffkreislaufs
"An dieser Stelle bringt der Mensch über die Freisetzung riesiger Mengen an Abwässer und Dünger den globalen Stickstoffkreislauf aus dem Gleichgewicht", sagt Michael Wagner, Leiter des Departments für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien. Um die Folgen dieses Eingriffs besser verstehen zu können, sind Ammonium-oxidierende Mikroorganismen in den letzten Jahren weltweit besonders intensiv erforscht worden. Nachdem vor mehr als einem Jahrhundert die ersten Bakterien mit dieser Fähigkeit entdeckt wurden, stellte sich erst in den vergangenen Jahren heraus, dass auch Archaeen zu dieser Stoffwechselleistung in der Lage sind.

Da MikrobiologInnen viele Vertreter der Ammonium-oxidierenden Archaeen im Labor nicht züchten können, wird ihre Häufigkeit in Umweltproben meist über molekularbiologische Verfahren ermittelt, die auf dem Nachweis des amoA-Gens beruhen. "Bislang gingen alle ExpertInnen davon aus, dass Archaeen, die dieses Gen besitzen, Ammonium oxidieren, da das amoA-Gen für ein Schlüsselenzym dieses Prozesses kodiert", erläutert der Mikrobiologe.

Bisheriger Nachweis reicht nicht
Wagners Forschungsteam gelang es, in Industriekläranlagen in England erstmals amoA-tragende Archaeen nachzuweisen, die nicht Ammonium oxidieren, sondern einen anderen noch unbekannten Stoffwechsel besitzen. "Der vielfach eingesetzte Nachweis archaealer amoA-Gene reicht also nicht aus, um Ammonium-oxidierende Archaeen zu identifizieren. Ergebnisse, die mit diesem Verfahren erhalten wurden – bislang sind dazu weit über 100 wissenschaftliche Publikationen erschienen –, können die Häufigkeit und damit die Bedeutung dieser Organismen für den Stickstoffkreislauf dramatisch überschätzen", konstatiert Wagner.

Veröffentlicht werden diese überraschenden Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences". Der Befund wurde durch die Kombination von Modellierung und modernsten molekularbiologischen Methoden zur Einzelzellfunktionsanalyse erhalten. Hierfür arbeitete Wagners Forschungsteam mit Andreas Richter vom Department für Chemische Ökologie und Ökosystemforschung der Universität Wien sowie Arbeitsgruppen aus England, den Niederlanden und Dänemark zusammen.

Publikation
Thaumarchaeotes abundant in refinery nitrifying sludges express amoA but are not obligate autotrophic ammonia oxidizers. Marc Mußmann, Roland Hatzenpichler, Andreas Richter, Anneliese Müller, Holger Daims, Michael Wagner. In: PNAS Online Early Edition, September 19-23, 2011.
DOI: 10.1073/pnas.1106427108
Abstract

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