Die menschliche Asymmetrie der Gehirnhälften ist nicht einzigartig

Einzigartig ist beim Menschen aber, wie sehr die Asymmetrie individuell variiert

Die funktionelle Trennung der beiden Gehirnhälften und die damit verbundene Gehirnasymmetrie sind beim Menschen gut dokumentiert. Über die Gehirnasymmetrie unserer nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen, war bisher jedoch wenig bekannt. Mithilfe von Abdrücken des Gehirns auf der Innenseite des Schädelknochens widerlegen Philipp Mitteröcker von der Universität Wien und Wissenschafter*innen vom Max-Planck-Institut in Leipzig jetzt die gängige Lehrmeinung, die menschliche Gehirnasymmetrie sei einzigartig: Bei Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans fand sich das gleiche Muster; beim Menschen variiert dieses aber stärker. Die Studie erscheint in Science Advances.

Die linke und rechte Seite unseres Gehirns sind auf bestimmte kognitive Fähigkeiten – beispielsweise Sprache – spezialisiert. Die beiden Hemisphären unterscheiden sich zudem in der Gehirnanatomie, der Verteilung der Nervenzellen, ihrer Konnektivität und der Neurochemie. Asymmetrien der äußeren Gehirnform sind sogar an der Innenseite von Schädelknochen sichtbar. Gehirnasymmetrie wird üblicherweise als entscheidend für die Funktion des menschlichen Gehirns und die Kognition interpretiert. Vergleichsstudien unter Primaten sind jedoch selten, und es ist nicht bekannt, welche Aspekte der Gehirnasymmetrie wirklich typisch menschlich sind. Bisher nahmen Wissenschafter*innen an, dass sich viele Aspekte der Gehirnasymmetrie erst nach der Trennung der menschlichen Abstammungslinie von der Linie unserer nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, entwickelt haben.

Erstmals Gehirnasymmetrien von Menschen und Menschenaffen verglichen
Forscher*innen der Universität Wien und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie haben in einer neuen Studie das Ausmaß und das Muster der Asymmetrie der Schädelknochen von Menschen und Menschenaffen statistisch analysiert. "Gehirne von Menschenaffen sind nur selten für Studien verfügbar, aber wir haben Methoden entwickelt, um Daten zur Gehirnasymmetrie aus Schädeln zu extrahieren, die in größerer Zahl zur Verfügung stehen. Das hat unsere Studie überhaupt erst möglich gemacht", sagt Simon Neubauer vom Max-Planck-Institut.

Menschenaffen haben ein ähnliches Asymmetriemuster
Das Team stellte fest, dass das Ausmaß der Asymmetrie beim Menschen und bei den meisten Menschenaffen ungefähr gleich war. Nur Schimpansen waren im Durchschnitt weniger asymmetrisch als Menschen, Gorillas und Orang-Utans. Darüber hinaus untersuchten die Wissenschafter*innen auch das räumliche Muster der Asymmetrie und konnten zeigen, dass nicht nur Menschen, sondern auch Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans das gleiche durchschnittliche Asymmetriemuster aufwiesen, das zuvor als typisch menschlich beschrieben wurde: der linke Hinterhauptlappen, der rechte Vorderhauptlappen sowie der rechte Pol des Schläfenlappens und der rechte Kleinhirnlappen ragten mehr hervor als die der anderen Seite.

Beim Menschen unterscheidet sich das Muster individuell
"Was uns noch mehr überraschte war, dass die Menschen in dieser Asymmetrie am wenigsten konsistent waren, mit viel individueller Variation um das am häufigsten vorkommende Muster", sagt Philipp Mitteröcker von der Universität Wien. Die Autor*innen interpretieren das als Zeichen von zunehmender funktioneller und entwicklungsbedingter Modularisierung des menschlichen Gehirns. Beispielsweise hängt die Asymmetrie von Hinterhauptlappen und Kleinhirn beim Menschen weniger zusammen als bei Menschenaffen. Dieser Befund ist interessant, da sich das Kleinhirn des Menschen während der Evolution dramatisch verändert hat. Infolgedessen könnte die lokale Asymmetrie des Kleinhirns etwas vom globalen Muster der Asymmetrie abgekoppelt sein.

Publikation in Science Advances:
Simon Neubauer, Philipp Gunz, Nadia A. Scott, Jean-Jacques Hublin, Philipp Mitteroecker. "Evolution of brain lateralization: a shared hominid pattern of endocranial asymmetry is much more variable in humans than in great apes". Science Advances 6, eaax9935 (2020).
DOI: 10.1126/sciadv.aax9935

Wissenschaftlicher Kontakt

Philipp Mitteröcker

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