Britischer Migrationsexperte Stephen Castles an der Universität Wien

Vortrag: International Migration after the Global Economic Crisis

Am Mittwoch, 10. Juli 2013, 19 Uhr, hält der renommierte britische Soziologe und Ökonom Stephen Castles einen öffentlichen Vortrag zur Vielschichtigkeit von sozialen Realitäten von Migration und Integration weltweit im Kleinen Festsaal der Universität Wien. Castles kommt im Rahmen der "Marie Jahoda Summer School of Sociology" nach Wien. Organisiert wurden Vortrag und Summer School von Roland Verwiebe, Vorstand des Instituts für Soziologie der Universität Wien, und seinem Team.

"Viele Experten haben vor dem Hintergrund der globalen ökonomischen Krise erwartet, dass internationale Wanderungsbewegungen mittelfristig abnehmen und sich in den Formen von Migration und Integration weltweit Angleichungstendenzen zeigen würden. Aktuelle Studie zeigen allerdings, dass das Gegenteil zutrifft: das weltweite Wanderungsniveau hat keineswegs abgenommen und die sozialen Realitäten von Migration und Integration werden immer vielschichtiger", analysiert Stephen Castles, Migrationsexperte an der University of Sydney, die derzeitige Situation.

Immer mehr Frauen mit Migrationshintergrund arbeiten
Zahlreiche Beispiele und Trends verdeutlichen diesen Gedanken: So stieg beispielweise die Arbeitslosigkeit von MigrantInnen in vielen westeuropäischen Ländern, zeitgleich nahm die Beschäftigungsquote unter ihnen zu. Diese zunächst widersprüchlich erscheinende Entwicklung kann nur verstanden werden, wenn man grundlegende strukturelle Veränderungen betrachtet. Es gibt eine tendenzielle Verlagerung von männlicher Beschäftigung im Bauwesen und der Industrie hin zu weiblicher Beschäftigung im Dienstleistungsbereich und Gesundheitswesen – die Geschlechterverhältnisse der Migration ändern sich.

Zugewanderte EU-Bürger verlassen den Norden Europas, Nicht-EU-Bürger bleiben
Eine weitere Dynamik ergibt sich aus der wachsenden Ausdifferenzierung des rechtlichen Status von MigrantInnen – dazu ein aktuelles europäisches Beispiel: viele EU-Bürger, die in den ökonomischen Boom-Jahren nach Großbritannien, Irland und Skandinavien gewandert sind, haben diese Länder wieder verlassen, als die Arbeitslosigkeit im Zuge der ökonomischen Krise dort zunahm. Die freien Aufenthalts- und Mobilitätsrechte innerhalb der Europäischen Union erlauben dies und eine potenziell unproblematische Rückkehr in der Zukunft. Viele MigrantInnen aus Nicht-EU-Staaten bleiben trotz ökonomischer Krise und steigender Arbeitslosigkeit, in erster Linie weil sie die Verschärfung von Zuwanderungsgesetzen und die Zunahme von Barrieren für eine Wiedereinwanderung fürchten.

Globaler Arbeitsmarkt verursacht weltweite Wanderbewegungen
Die globale ökonomische Krise hat einen Trend hin zur Entstehung eines globalen Arbeitsmarktes beschleunigt. "Dieser globale Arbeitsmarkt ist nicht nur nach dem Schlüsselfaktor Humankapital strukturiert, wie neo-klassische Ökonomen argumentieren würden, sondern nach Faktoren wie Geschlecht, Hautfarbe, Ethnizität, Lebensort und dem juristischen Status einer Person. Eine wachsende Arbeitsteilung macht es inzwischen möglich, Warenherstellung und Dienstleistungen an jene Orte zu verlagern, die die effektivsten und kostengünstigsten Bedingungen aufweisen", so Stephen Castles. Diese Entwicklungen gehen mit einer Zunahme der Ungleichheit zwischen und innerhalb von Regionen und Staaten sowie mit einer Restrukturierung von weltweiten Wanderungsbewegungen einher.

Derzeit wandern hoch qualifizierte, junge MigrantInnen in unterschiedliche Regionen weltweit, z. B. von Südeuropa in mittel- und nordeuropäische Länder, von Portugal nach Brasilien, Angola und Mozambique sowie von Griechenland, Italien und Irland nach Australien. Es gibt einen Anstieg von Migration sowohl in die neuen Industriezentren der sogenannten BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) als auch in prosperierende Staaten Ostasiens, nach Argentinien, Chile und Uruguay sowie nach Südafrika.

Neu: Bildungs-, Heirats-, Lebensstil- und Pensionärsmigration
Aktuelle Studien zeigen weltweit eine Ausdifferenzierung und Entstehung von neuen Wanderungsformen, wie z.B. der Bildungsmigration, Heiratsmigration, Lebensstilmigration oder Pensionärsmigration, aber auch eine wachsende Tendenz des Ausschlusses von MigrantInnengruppen von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und eine Tendenz hin zu neuen Formen von nicht-legalen Wanderungen. "Wir beobachten ferner eine Zunahme an Geldsendungen, die Migranten in ihre Heimatländer transferieren, wie auch eine Zunahme der Armut unter Migranten", erklärt Castles, der auch Direktor des "Refugee Studies Centre" an der Oxford University war.

Kurzbiografie von Stephen Castles
Stephen Castles, Soziologe und Ökonom an der University of Sydney, untersuchte zuletzt vor allem die Dynamiken internationaler Wanderungsbewegungen, globale Governance-Strukturen und regionale Migrationstrends in Afrika, Asien und Europa. Sein aktuelles Forschungsprojekt "Social Transformation and International Migration in the 21st Century" behandelt die Frage, wie im Zusammenspiel von globalen und lokalen Faktoren soziale Mobilität von Individuen entsteht und beeinflusst wird. Er lehrte von 1972 bis 1985 an der Fachhochschule Frankfurt am Main, war von 1986 bis 2000 Professor für Soziologie an der University of Wollongong, Australien, und leitete von 2001 bis 2006 das "Refugee Studies Centre" an der Oxford University. Er war Berater der australischen und britischen Regierung.

Public Keynote Lecture:
International Migration after the Global Economic Crisis
Zeit:
Mittwoch, 10. Juli 2013, 19.00 Uhr
Ort: Kleiner Festsaal der Universität Wien, Universitätsring 1, 1010 Wien
http://www.soz.univie.ac.at/marie-jahoda-summer-school-2013/public-keynote-speech/

Der Vortrag kann kostenfrei und ohne Anmeldung besucht werden.

Marie Jahoda Summer School of Sociology
Die Marie Jahoda Summer School of Sociology Vienna, die mittlerweile zum dritten Mal vom Institut für Soziologie der Universität Wien veranstaltet wird, widmet sich von 8. bis 12. Juli 2013 dem Themenfeld "Migration and Inequality" und gibt exzellenten DoktorandInnen aus insgesamt 12 Ländern, die Möglichkeit von einer internationalen, hochrangigen Faculty neuen Input und Feedback für ihre eigene Forschung zu erhalten sowie Netzwerke mit anderen WissenschaftlerInnen aufzubauen.

Kontakt / Interviewanfragen:
Theresa Fibich, BA BEd
Institut für Soziologie
Universität Wien
1090 Wien, Rooseveltplatz 2
T +43-1-4277-492 46
theresa.fibich(at)univie.ac.at

Univ.-Prof. Dr. Roland Verwiebe
Vorstand des Instituts für Soziologie
Universität Wien
1090 Wien, Rooseveltplatz 2
T +43-1-4277-492 20
M +43-664-60277-492 20
roland.verwiebe(at)univie.ac.at

Wissenschaftlicher Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Roland Verwiebe

Institut für Soziologie
Universität Wien
1090 - Wien, Rooseveltplatz 2
+43-1-4277-492 20
+43-664-60277-492 20
roland.verwiebe@univie.ac.at

Rückfragehinweis

Theresa Fibich, BA BEd

Institut für Soziologie
Universität Wien
1090 - Wien, Rooseveltplatz 2
+43-1-4277-492 46
theresa.fibich@univie.ac.at