Aussterben der Alpenpflanzen bleibt lange unsichtbar

Simulationen zeigen Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf Pflanzenvielfalt

Mit einem neuen Modell haben Forschende der Universitäten Zürich, Wien und Grenoble simuliert, wie verschiedene alpine Pflanzenarten auf wärmere klimatische Bedingungen reagieren. Aufgrund ihrer Langlebigkeit besiedeln Pflanzen viele Standorte zwar länger als bisher erwartet, produzieren dabei aber Nachwuchs, der zusehends schlechter an die sich ändernden Bedingungen angepasst ist. Zur korrekten Erfassung von Pflanzenarten ist es notwendig nicht nur ihre geographische Verbreitung, sondern auch den Zustand lokaler Populationen zu beachten. Die Ergebnisse zur Studie erscheinen aktuell in "Nature Communications".

Für alpine Pflanzenarten stellt der Klimawandel eine besondere Herausforderung dar: Um sich ihr gewohntes Klima zu erhalten, müssen sie ihren Lebensraum nach oben verschieben. Dort steht aber weniger besiedelbare Fläche zur Verfügung. Um das Aussterberisiko bedrohter Pflanzen abzuschätzen, griff die Wissenschaft bisher auf statische Modelle zurück, die jedoch die dynamischen Antworten der Flora auf den Klimawandel unzureichend abbilden.

Zuverlässigere Voraussagen
Ein internationales Forschungsteam um Frédéric Guillaume von der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Stefan Dullinger, Johannes Wessely und Günther Klonner vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien und Wilfried Thuiller von der Universität Grenoble hat ein neues Modell entwickelt, das ökologische und evolutionäre Mechanismen berücksichtigt und damit zuverlässigere Voraussagen auf die Entwicklung der Pflanzenvielfalt erlaubt. Die Forschenden haben ihr Modell auf vier alpine Pflanzenarten angewandt und deren Verbreitung unter drei möglichen Klimaszenarien bis ins Jahr 2150 mit Hilfe von Supercomputern simuliert.

Die günstigeren Klimaszenarien (die von einer Erwärmung um 1 Grad ausgehen) zeigen, dass sich die Pflanzenbestände wieder erholen, wenn ab 2090 auch die Erwärmung wieder nachlässt. "Aber wenn der Klimawandel sich ungebremst entwickelt, haben die Pflanzen ein großes Problem", erklärt Frédéric Guillaume von der Universität Zürich. Ein Problem, das sich der oberflächlichen Beobachtung entzieht und sich nur bei genauerem Hinsehen offenbart.

Verharren an ungünstigen Standorten
Die lange Lebensdauer dieser Alpenpflanzen begünstigt deren Verharren an den Standorten, die sie aktuell besetzen. Aber gleichzeitig fassen immer weniger junge Pflanzen Fuß. Die Langlebigkeit verhindert eine Erneuerung der Populationen. Dadurch seien die Populationen zusehends schlechter an ihre sich verändernde Umwelt angepasst und die Individuenzahlen sinken. "Die Dichte des Bestands nimmt schneller ab als die geographische Verbreitung", erläutert Dullinger.

Die durchgeführten Simulationen zeigen, dass die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen nicht mit den raschen klimatischen Veränderungen Schritt halten kann. Dass sich ältere Individuen in einer sich verschlechternden Umwelt hartnäckig halten, täuscht darüber hinweg, dass sich allmählich eine Aussterbeschuld aufbaut. "Um dieses unsichtbare Aussterberisiko korrekt zu erfassen, gelte es deshalb nicht nur, die Verbreitung der alpinen Pflanzenarten, sondern auch die lokalen Bestandsdichten zu messen", schließen die Forschenden.

Publikation in "Nature Communications"
Olivier Cotto, Johannes Wessely, Damien Georges, Günther Klonner, Max Schmid, Stefan Dullinger, Wilfried Thuiller, and Frédéric Guillaume. A dynamic eco-evolutionary model predicts slow response of alpine plants to climate warming. Nature Communications, 8, 15399.
doi: 10.1038/ncomms15399.

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