Ausstellung der Universität Wien: "Der Wiener Kreis – Exaktes Denken am Rand des Untergangs"

Ausstellung "Der Wiener Kreis" anlässlich des 650-Jahr-Jubiläums der Universität Wien im Hauptgebäude von 20. Mai bis 31. Oktober 2015

Im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums der Universität Wien wird im Hauptgebäude von 20. Mai bis 31. Oktober 2015 die Ausstellung "Der Wiener Kreis" zu sehen sein. Deren Protagonisten haben – ausgehend von der Universität Wien – in den 1920er und 1930er Jahren mit ihren theoretischen Überlegungen wichtige Forschungsfelder initiiert. Zur Eröffnung am Dienstag, 19. Mai, 17.00 Uhr, sprechen Rektor Heinz W. Engl, Bürgermeister Michael Häupl, ÖAW-Präsident Anton Zeilinger, Nobelpreisträger Martin Karplus sowie Architekt Hermann Czech und Medienkünstler Peter Weibel, die Kuratoren der Ausstellung Karl Sigmund und Friedrich Stadler. Die Ausstellung wird nach Wien in Karlsruhe gezeigt. Auch eine Station in den USA ist angedacht.

"Den Wiener Kreis würde man heute als einen international einflussreichen Think Tank der Forschung bezeichnen. Die Mitglieder traten für die freie Entfaltung der Wissenschaften, für eine wissenschaftlich-rationale Analyse, auch in Politik und Kultur, wie für die gesellschaftliche Modernisierung ein. Die interdisziplinären Errungenschaften der Protagonisten haben bis heute Auswirkungen auf die Wissenschaft und die Entwicklung neuer Forschungsbereiche. So bildeten Überlegungen ihrer Mitglieder die Grundlagen der mathematischen Logik und theoretischen Informatik", so Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, zur Bedeutung des Wiener Kreises. Den Ehrenschutz der Ausstellung hat Bundespräsident Heinz Fischer übernommen.

Der Wiener Kreis und seine Fragen
Im Fokus der Ausstellung stehen die philosophischen Fragen, denen sich der Wiener Kreis gewidmet hat: Wodurch zeichnet sich wissenschaftliche Erkenntnis aus? Haben metaphysische Aussagen einen Sinn? Worauf beruht die Gewissheit von logischen Sätzen? Wie ist die Anwendbarkeit der Mathematik zu erklären? Wie ist das Verhältnis von Philosophie und Fachwissenschaften zu bestimmen?
Die Ausstellung stellt damit den Zusammenhang mit dem Leitmotiv der Universität Wien im Jubiläumsjahr her: "Wir stellen die Fragen. Seit 1365."

Installation von Medienkünstler Weibel visualisiert Philosophie
Die Herausforderung in der Präsentation besteht darin, das akademische Wirken des Wiener Kreises einer breiten Öffentlichkeit zugänglich – und verständlich – zu machen. Die Schau, die in den neu adaptierten Räumlichkeiten im Hauptgebäude der Universität Wien präsentiert wird, geht daher innovative Wege in der Darstellung. Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler und Mathematiker Karl Sigmund, beide von der Universität Wien und Kuratoren der Ausstellung, realisierten zusammen mit Medienkünstler Peter Weibel erstmals eine "Visualisierung von Philosophie". Basis dafür ist ein umfangreicher Fundus an Dokumenten, Bildern und Texten.

Eine multimediale Interpretation des Wiener Kreises bietet die vom ZKM Karlsruhe entwickelte Installation "PanoramaVision." Eine etwa 20 Quadratmeter große, kreisrunde Projektionsfläche lädt BesucherInnen zur Interaktion mit Bildern und Textdokumenten ein. Die Objekte aus zwölf Themenbereichen werden laufend durch einen Computeralgorithmus automatisch aus Wikipedia generiert und liefern Links zu weiterführenden Informationen.

Bildstatistik von Otto Neurath
Ein weiterer Abschnitt widmet sich der "Wiener Methode der Bildstatistik", später Isotype genannt, von Otto Neurath, die vom Department of Typography and Graphic Communication der Universität Reading (UK) bereitgestellt wurde.

Ehrengast zur Eröffnung: Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus
Diese Ausstellung der besonderen Art bringt auch einen besonderen Gast: Eröffnet wird die Ausstellung am Dienstag, 19. Mai, um 17.00 Uhr im Hauptgebäude der Universität Wien in Anwesenheit von Chemie-Nobelpreisträger Martin Karplus, der am 13. Mai das Ehrendoktorat der Universität Wien erhielt. Karplus wurde 1930 in Wien geboren und gehört selbst zur Generation der vertriebenen Intelligenz – wie jene, die seinerzeit dem Wiener Kreis angehörten und deren Wirken und Schicksal mit der Ausstellung in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt wird.

"Der Wiener Kreis": Runde außergewöhnlicher Persönlichkeiten
Der Wiener Kreis wurde in den 1920er Jahren vom Philosophen Moritz Schlick, dem Sozialreformer Otto Neurath und dem Mathematiker Hans Hahn gegründet. Wöchentlich trafen einander die Mitglieder des Wiener Kreises zum Gedankenaustausch und legten dabei Grundsteine für wichtige Forschungsfelder des 20. Jahrhunderts. Zentrales Anliegen seiner Mitglieder war es, dem um sich greifenden Irrationalismus in Politik und Kultur ein System des empirisch-rationalen, wissenschaftlichen Handelns und Denkens entgegenzusetzen.

Namhafte WissenschafterInnen nahmen an den Treffen teil: Neben dem berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein schätzten auch der Logiker Bertrand Russell oder die Mathematikerinnen Olga Hahn-Neurath und Olga Taussky die Runde. Der Philosoph Karl Popper und der Mitbegründer der Spieltheorie Oskar Morgenstern bezogen wichtige Anregungen aus den Diskussionen im Wiener Kreis.

Vermittelt werden mit der Ausstellung die außergewöhnlichen intellektuellen und kulturellen Überlegungen dieser bemerkenswerten DenkerInnen, die bis in unser heutiges Leben hineinreichen. So bildeten manche der interdisziplinären Untersuchungen des Wiener Kreises die Basis, auf die sich spätere WissenschafterInnen bei der Entwicklung von Algorithmen, Computerprogrammen oder Piktogrammen bezogen.

Neben derartigen Errungenschaften beleuchtet die Ausstellung aber auch die dunklen Seiten der Epoche, mit denen die Mitglieder des Wiener Kreises in ihrem Alltag konfrontiert waren. Denn es waren die Exzesse politischen Fanatismus und des Antisemitismus, die schließlich die Zerstörung des Zirkels nach sich zogen.

Geschichte und Wirken des Wiener Kreises
Der Wiener Kreis spielt in der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle: Die Entwicklungen der Philosophie orientieren sich vielfach am Geschehen in Wien, Prag sowie Berlin und fanden von hier aus ihre Verbreitung. Die Themen des Wiener Kreises wurden rasch von führenden Köpfen und Intellektuellen in Europa und den USA aufgegriffen.

Öffentlich zu wirken begann der Wiener Kreis 1924. Die Treffen fanden stets an Donnerstagen im Mathematischen Seminar der Universität Wien in der Wiener Boltzmanngasse statt. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Land verbreiteten sich auch an der Universität Wien rasch: Durch antisemitische und rassistische Strömungen wurde es für den Wiener Kreis zunehmend schwieriger, öffentlich aufzutreten und zu arbeiten. 1934 starb der Mitbegründer Hans Hahn, im gleichen Jahr ging Otto Neurath ins Exil.

Endgültig endeten die Treffen mit der Ermordung des Gründers Moritz Schlick 1936. Der Philosoph wurde von einem seiner ehemaligen Studenten aus persönlicher und weltanschaulicher Gegnerschaft auf der Philosophenstiege der Universität Wien erschossen. Eine Erinnerungsplakette an der Stelle des Attentats erinnert heute an Schlick. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Wiener Kreis an seiner Entstehungsstätte für lange Zeit nicht wieder auf. Seine Ideen fanden jedoch weiter international Anklang. Somit wirkte der Wiener Kreis auch nach dem Krieg fort und prägte die Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Um die Werke und die Wirkung des Wiener Kreises im Bereich der Wissenschaft und Volksbildung aufzuarbeiten und zu dokumentieren, wurde 1991 an der Universität Wien das "Institut Wiener Kreis" gegründet, das 2011 ein Institut der Universität Wien wurde. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts ist Friedrich Stadler, Professor am Institut für Philosophie und Zeitgeschichte der Universität Wien.

Idee, Konzept und Umsetzung
Kuratiert wird die Ausstellung von Mathematiker Karl Sigmund und Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler (wissenschaftliche Mitarbeit Christoph Limbeck-Lilienau). Die Ausstellung wird von 20. Mai bis 31. Oktober in Wien und anschließend am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe gezeigt.

Ehrenkomitee
Das Ehrenkomitee bilden die beiden aus Wien vertriebenen, späteren Nobelpreisträger Martin Karplus und Walter Kohn, die langjährige Präsidentin des European Research Council Helga Nowotny, die beiden britischen Historiker Peter Pulzer (aus Wien stammend, Ehrendoktor der Universität Wien) und Edward Timms sowie ÖAW-Präsident Anton Zeilinger. Noch zu Lebzeiten hatten Carl Djerassi, "Mutter der Pille" und ebenfalls Ehrendoktor der Universität Wien, und Erika Weinzierl, Historikerin der Universität Wien, ihre Mitwirkung am Ehrenkomitee zugesagt.

Ausstellungsraum
Die Ausstellung findet im Hauptgebäude der Universität Wien statt. Dazu wurden die ehemaligen Räume des Universitäts-Sportinstituts zu Multifunktionsflächen umgestaltet, die für Ausstellungen, Kongresse und Lehrveranstaltungen zur Verfügung stehen. Für die Dauer der Ausstellung sind die neuen Räumlichkeiten über einen eigenen Eingang direkt vom Universitätsring aus zugänglich. Geplant wurde der Umbau von Architekt Hermann Czech.

Öffnungszeiten, Eintritt, Führungen
Die Ausstellung ist ab Mittwoch, 20. Mai 2015 von Montag bis Samstag, von 10 bis 18 Uhr, geöffnet und läuft bis zum 31. Oktober 2015. Eintritt: 8 Euro, Universitätsangehörige und SchülerInnen zahlen die Hälfte.
Für Angehörige der Universität Wien ist der Eintritt frei. Anmeldungen zu Führungen für Gruppen unter: ivc@univie.ac.at

Publikationen zur Ausstellung
Zur Ausstellung erscheint im LIT Verlag ein ausführlicher Katalog. Die beiden Kuratoren ergänzen und vertiefen die Ausstellung mit jeweils einer aktuellen Publikation. Karl Sigmund: Sie nannten sich Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs. (SpringerSpektrum, 2015). Friedrich Stadler: Der Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des Logischen Empirismus im Kontext. (Springer, 2015).
Weitere Publikationen zum Thema finden Sie in der Publikationsliste im Anhang.

Sponsoren der Ausstellung
Die Ausstellung wird gefördert von den großzügigen UnterstützerInnen: RD Foundation Vienna, ZIT – Die Technologieagentur der Stadt Wien, ÖBB-Holding AG, MA 7 - Kulturabteilung der Stadt Wien, Palmers Immobilien, ZG - Zukunftsfonds der Republik Österreich, Wirtschaftskammer Österreich, Hannes Androsch Stiftung bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaft, Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Claudia Oetker, Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds, Bundesministerium für Bildung und Frauen, Uniqua Insurance Group AG, Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier, Österreichischer Gewerkschaftsbund.


650 Jahre Universität Wien
Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.700 MitarbeiterInnen, davon 6.900 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 92.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 180 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. 1365 gegründet, feiert die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum mit einem vielfältigen Jahresprogramm. univie.ac.at

Rückfragehinweis und Interviewanfragen
Für Interviews stehen Martin Karplus, die Kuratoren Friedrich Stadler und Karl Sigmund sowie Architekt Hermann Czech zur Verfügung. Anfragen richten Sie bitte an:

Mag. Veronika Schallhart
Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
T +43-1-4277-175 30
M +43-664-602 77-175 30

presse(at)univie.ac.at
www.univie.ac.at


Begleitende Publikationen zur Ausstellung:
- Karl Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs. Wiesbaden: SpringerSpektrum 2015. ISBN 978-658-08534-6 http://mlwrx.com/sys/w.aspx?sub=dAvsT_2A6MTL&mid=8d03ba11
- Christoph Limbeck-Lilienau / Friedrich Stadler (Hrsg.), Der Wiener Kreis. Texte und Bilder einer Ausstellung. Münster-Berlin- London: LIT Verlag 2015. ISBN 978-3-643-50672-6 http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-50672-6
- Christoph Limbeck-Lilienau / Friedrich Stadler (Eds.), The Vienna Circle. Texts and Pictures of an Exhibition. Münster-Berlin- London 2015. ISBN 978-3-643-90649-6
 http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-90649-6
- Friedrich Stadler, Der Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des Logischen Empirismus im Kontext. 2. Auflage. Dordrecht: Springer.
 http://www.springer.com/de/book/9783319160474
- Friedrich Stadler, The Vienna Circle. Studies in the Origins, Development, and Influence of Logical Empiricism. 2nd Edition. Dordrecht: Springer 2015. ISBN 978-3-319-16560-8 
http://www.springer.com/de/book/9783319165608


Weitere Veranstaltungen

Montag, 25. Mai 2015:
Themenmontag ORF III: "Menschen & Mächte" präsentiert
"Geistesblitze – 650 Jahre Universität Wien". Eine Dokumentation von Günther Mayr. 20:15 Uhr, ORF III
"Unsere Uni Wien – prominente Abgänger erzählen" 21:05 Uhr, ORF III
"Der Wiener Kreis" 21:50 Uhr, ORF III
"Die Vertreibung der Intelligenz": Martin Karplus" 22:40 Uhr, ORF III

Montag, 22. Juni 2015
Internationales Symposium "Neue Universitäts-Geschichtsschreibung im internationalen Vergleich" (www.univie.ac.at/unigeschichte2015) mit Buchpräsentation der vierbändigen Reihe "650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert" (Vienna University Press; www.univie.ac.at/festschrift650)
Montag, 22. Juni 2015 09:00 – 20:00 Uhr
Universität Wien, Großer Festsaal


Architektonische Informationen zur Ausstellung

Die Ausstellung findet in neu adaptierten Souterrainräumen des Hauptgebäudes statt, die ein künftiges Veranstaltungszentrum bilden. Der temporäre Zugang von außen ist für die Ausstellung besonders wichtig, um nicht den Eindruck einer Instituts- oder Foyer-Ausstellung zu machen, die sich nicht an die Öffentlichkeit wendet. Mit seiner informellen, aber in sich präzisen Außenerscheinung liefert der speziell "ausgebrochene" Eingang bereits eine Assoziation zum nonkonformistischen Thema.

Man betritt das Souterrain auf einem hohen Podest und hat einen Überblick in den ersten Hauptraum. Von Anfang an hat die Ausstellung keinen zwingenden Weg, sondern mehrfach wählbare Zugänge und Verbindungen. Die chronologische und thematische Gliederung der Inhalte benützt die vorhandenen Raumzusammenhänge; ihre Lage soll möglichst bald klar werden, so dass sich in kurzer Zeit eine Orientierung, eine "mental map" ausbildet.

Philosophische, weitgehend also verbale Inhalte sind für eine Ausstellung eine
Herausforderung; sie soll ja eben kein "aufgeblättertes Buch" sein. Wichtig ist, dass der
Besucher sich nicht verpflichtet fühlt, alles – und noch in richtiger Reihenfolge – zu
lesen, sondern dass er oder sie überall hängen bleiben und sich vertiefen kann.
Zusammenhänge erschließen sich dann punktuell und in konkreten Schritten, nicht im
Sinne eines gegliederten "Lehrstoffs".

Hermann Czech

Rückfragehinweis

Mag. Veronika Schallhart

DLE Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 - Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-17530
+43-664-8176793
veronika.schallhart@univie.ac.at